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XXX

KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG

durch urkundlich belegte Schenkungen erweiterte Besitz des Klosters in Ulm, darunter der große Pfleghof auf dem
Gelände des Grünen Hofs, in dem ein zweiter Siedlungsschwerpunkt in früher Zeit vermutet wird17.
In der Folge war die Ulmer Pfalz immer wieder Schauplatz der Geschichte des Reichs, weniger im Verlauf des io. und
frühen 11. Jh., als sich das Schwergewicht der Reichsgeschäfte nach Norden und Italien verlagert hatte, doch mit
zunehmender Bedeutung wieder in salischer Zeit: Hier versammelten sich während des Investiturstreits im Herbst
1076 und nochmals im Februar 1077 die gegen Heinrich IV. opponierenden Fürsten, um die Wahl eines Gegenkönigs
zu beschließen, doch auf dem im Mai 1077 nach Ulm einberufenen Hoftag zeigte sich Heinrich IV, nachdem er in
Canossa vom Papst die Lösung des Bannes erwirkt hatte, wieder demonstrativ mit den königlichen Insignien und
verhängte die Acht über die aufständischen Herzöge Rudolf von Schwaben, Welf von Bayern und Berthold von
Kärnten18. Mit der Belehnung des Herzogtums Schwaben an Heinrichs treuen Gefolgsmann Friedrich von Staufen,
genauer mit dessen Anerkennung 1096, wurde Ulm schnell zu einem der staufischen Hauptorte, was freilich zunächst
eine vernichtende Zäsur in der Entwicklung des Gemeinwesens nach sich zog. Die erbitterten Auseinandersetzungen
um die salische Nachfolge und die im Erbe der Salier enthaltenen Reichsgüter in Schwaben führten 1131 zur Verwü-
stung der unmittelbaren Umgebung Ulms, »territoria, suburbia et villae«, und schließlich in letzter Konsequenz 1134
zur vollständigen Zerstörung des oppidum durch den Weifenherzog Heinrich den Stolzen von Bayern, bei der bezeich-
nenderweise allein die der Reichenau unterstellte alte Pfarrkirche ennetfeldes geschont wurde19.
Mit dem Wiederauf- und Ausbau der Pfalz war nach der Wahl Konrads III. zum ersten Stauferkönig 1138 unverzüglich
begonnen worden, und noch im 12. Jh. wurde die im Norden und Gsten anschließende Marktsiedlung in die Be-
festigung einbezogen, so daß die umfriedete staufische Stadt vom Schwörhof (Pfalzbereich) im Westen bis zum
Grünen Hof (Reichenauer Pfleghof) im Osten, von der Donau im Süden bis zur nördlich des späteren Münsters
verlaufenden Hafengasse reichte und durch drei Tore — das Löwentor im Westen, das Leonhardstor im Norden und das
Schützentor im Südosten — sowie die beim Bau des Spitals 1240 erwähnte, möglicherweise schon seit dem 12. Jh.
bestehende »obere Brücke« über die Donau an die in ostwestlicher und nordsüdlicher Richtung verlaufenden Fern-
straßen angebunden war20. Eine Urkunde über die Stadterhebung ist nicht überliefert und scheint auch nicht existiert
zu haben, doch gibt es Anhaltspunkte, die Wurzeln der Stadtwerdung bereits ins 11. Jh. zurückzuverlegen21. Die erste
Nennung der civitas Ulm fällt dagegen erst ins Jahr 1181, und die Bewidmung Ulms mit dem Esslinger Stadtrecht,
vollzogen 1274 durch König Rudolf von Habsburg, scheint — nach den Unsicherheiten des Interregnums — tatsäch-
lich nicht mehr als eine »Verlegenheitslösung« gewesen zu sein, »als man, aus welchen Gründen auch immer, ein
schriftlich verhängtes Stadtrecht nötig zu haben glaubte«22. Einblick in die Stadtverfassung, unmittelbar nach dem
Zusammenbruch des staufischen Königtums, gibt der 1255 zwischen Ammann, Rat und Gesamtbürgerschaft Ulms
zum einen und dem Reichsvogt Graf Albert IV. von Dillingen als dem Inhaber der königlichen Herrschaftsrechte zum
andern geschlossene Vogtvertrag21, der offenbar althergebrachte und weitreichende, einer Landesherrschaft gleich-
kommende Rechte des Reichsvogts bestätigte, doch nach dem baldigen Aussterben der Grafen von Dillingen (1258)
gelang es den Ulmern, die Stadt in der Folge von nichtköniglicher Herrschaft freizuhalten und die formell dem König
zustehenden Herrschaftsrechte mehr und mehr in die eigene Hand zu bekommen21. Dabei blieben sämtliche Organe

17 Vgl. Wortmann, 1979, S. 509f.; dagegen hat Schlesinger, 1967, S.
14ff., eher eine gleichzeitige Gründung mit jenem vermuteten fränki-
schen Königshof, Mitte des 8. Jh., vermutet.
18 Schlesinger, 1967, S. 22.
19 Zur Politik des Reichsklosters, das schon im Investiturstreit die Posi-
tionen der Fürstenopposition und des Papsttums unterstützt hatte und
in der Folge die eigenen Interessen mit denen des Gegenherzogtums zu
verbinden verstand, vgl. Schmitt (s. Anm. 14), 1974, S. 60-72.
20 Schlesinger, 1967, S. 24h, und Specker, 1977, S. 39; vgl. auch Karl
Weller, Die Reichstraßen des Mittelalters im heutigen Württemberg, in:
WVL NF 33, 1927, S. 7E, 12, 16, 22, 30—32. Die wichtigsten internatio-
nalen Verbindungen, die über Ulm liefen, waren — neben der Donau —
die Straßen nach Venedig über Memmingen, Kempten und Tirol, nach
Mailand und Genua über Ravensburg, Bodensee und die Bündnerpässe,
zu den Messestädten der Champagne über Tübingen, Kniebis und Straß-

burg, nach Flandern über Göppingen, Cannstatt bis Speyer und den
Rhein abwärts sowie nach Genf und Lyon über Oberschwaben und die
Schweiz (vgl. auch Hans Jänichen, in: Der Stadt- und der Landkreis
Ulm, Amtliche Kreisbeschreibung, Allgemeiner Teil, Ulm 1972, S. 345 f.).
21 Vgl. hierzu die von Schlesinger, 1967, S. 12 versammelten Argumen-
te. Eine Ulmer Münzprägung ist beispielsweise bereits für 1060 und 1090
belegt.
22 Schlesinger, 1967, S. 26h, und Specker, 1977, S. 38.
23 Zum Vogtvertrag ausführlich Max Ernst, Zur älteren Geschichte
Ulms, in: UO 30, 1937, S. 41—54.
24 Hannesschläger, 1958, S. 22—52, Schlesinger, 1967, S. 27, und
Specker, 1977, S. 40-44. Neben den Ammann (ministerp der ursprünglich
vom König eingesetzt worden war, ab 1271 aber bereits alljährlich von
63 Vertretern der städtischen Führungsschicht (mellores) gewählt wurde,
trat nachweisbar ab 1292 der Bürgermeister (capitaneus oder magister civi-
 
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