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wisser Geschmack, diese Nachzeichnungen geschickt als „Komposition" zu verwen-
den. Es versteht sich von selbst, daß diese Hebung eine nothwendige ist, ja
wir geben sogar zu, daß es eine Grundbedingung aller künstlerischen Ausbil-
dung ist, sich aller Mittel zur Darstellung zu bemächtigen in einer Weise,
daß der Künstler ihrer Herr ist und in ihrer Anwendung keine Schwierig-
keiten findet.
Allein diese Beherrschung der technischen Mittel — worin die große Mehr-
zahl unserer Künstler, verbildet durch die rein materielle Lehrmethode der
Akademien, das ganze Endziel ihres Strebens findet— ist nur der Anfang der
künstlerischen Ausbildung, die Propädeutik des eigentlichen Kunststudiums.
Daß die Künstler wissen, wie sie etwas darstelleu sollen, ist außerordentlich
wichtig, vorausgesetzt, daß sie eben so klar wissen, was sie darstellen sollen.
Aber hierin sieht es denn allerdings armselig genug aus. Man braucht nicht
die Finger beider Hände, um die Künstler herzuzählen, welche einen wahrhaft
würdigen Begriff von dem ideellen Gehalt ihres Berufs haben. Am
kläglichsten sieht es hierin in demjenigen Gebiet der Kunst aus, welches mit
Recht als das höchste, weil gedankenvollste und ideenreichste, betrachtet wird:
in der Historienmalerei. Es ist unglaublich, was sich heutzutage Alles
als Historienmalerei betrachtet wissen möchte. Der erste beste Vorgang aus
der Geschichte, zu lesen auf Seite so und so von Becker's Handbuch, wird,
wenn er sich nur hübsch „arrangiren" läßt, wenn er nur einige „gute Stel-
lungen," eine „wirksame Gruppirung" u. s. f. darbietet, zum historischen Motiv
gestempelt und als solches frisch weg in Farben gebracht. Allenfalls giebt
man, mit Bezug auf den Vorgang, den betreffenden Personen die ihrer Si-
tuation ungefähr konvenirenden Physiognomien: ein trauriges, lächelndes, ern-
stes Gesicht, eine bärbeißige, liebliche, abschreckende, verhimmelnde, trotzige
u. s. f. Miene — lauter Dinge, die man fix und fertig in den Grenzen des
akademischen Schemas findet und sich bequem zurecht legen kann: und das
Historiengemälde ist fertig. — Solchen Leuten von innerem Gehalt, von
gedanklicher Durchdringung des Stoffs, überhaupt von Jdeenkomposition re-
den, heißt, dem Blinden von Kolorit sprechen. Aber es ist einmal so. Sie
haben es nicht anders gelernt, und wissen es nicht besser. Eine ernste, geistig
vertiefende Bildung haben sie nie genossen, sind vielleicht von Quarta, höch-
stens von Tertia des Gymnasiums abgegangen — auf die Akademien, und
sind seitdem in der akadeniischen Tretmühle estrexercirt worden, bis sie das
künstlerische ABC am Schnürchen wußten, um dann — ein selbstständiges
Atelier zu gründen.
Es ist wahrhaft beklagenswerth, welche geistige Verwahrlosung in künst-
lerischer Beziehung dadurch sich von Generation zu Generation vererbt. Das
Allerschlimmste aber besteht darin, daß die jungen Leute allmälig die Vorstel-
lung von Dem, was ihnen zur Erfüllung ihres höheren künstlerischen Berufs
Noth thut, ganz verlieren, ja wohl in einen Dünkel Hineingeratheu, der ihnen
vollends einen Riegel vor die Pforte einer weiteren Ausbildung vorschiebt.
Um auf die Historienmalerei zurückzukommen, so liegt die Frage nahe:
wo lernt der Historienmaler das, was ihm für seinen Beruf das Nothwen-
digste ist: Weltgeschichte? Auf der Akademie nicht, aus Büchern — lernt sich
dergleichen auch nicht; denn um die Ideen, welche der Entwicklung des Men-
schengeschlechts zu Grunde liegen, kennen zu lernen, genügt es nicht, die dürren
Thatsachen sich einzuprägen, welche erst Bedeutung und Sinn aus eben jenen
allgemeinen Ideen erhalten. Ein Studium der Weltgeschichte aus Büchern
ist aber für den Künstler noch viel weniger als für jeden andern hinreichend,
da es ihm weniger auf die politischen, statistischen, militairischen, diplomati-
schen und anderweitigen Beziehungen, welche den Hauptinhalt der Handbücher
ausmachen, ankommt, als auf die allgemein menschlichen Beziehungen,
auf das Dramatisch-Bedeutsame, kurz, auf die anschaulich-poetische
Form, in welcher die historische Idee sich offenbart. Denn ohne diese an-
schaulich-poetische Form ist kein historischer Vorwurf, und habe er als histo-
rischer eine noch so große Bedeutung, für die Darstellung im Bereich der
bildenden Kunst brauchbar. Vielleicht für die Poesie des Worts, weil diese,
gleich den Thatsachen selbst, eine hintereinander fortgehende Entwicklung zu-
läßt, nicht aber für die Poesie der Malerei. Es liegt hierin eine der
wichtigsten Grenzscheiden zwischen den Darstellungsformen der Dichtkunst und
der Malerei, eine jener Grenzscheiden, die — eben aus Unkenntniß der innern
Verschiedenheit der Gebiete — von den Künstlern nur zu oft überschritten
werden.
Eine solche Darlegung der Kultur- und Völkergeschichte wäre nur dann
für den Künstler brauchbar und nützlich, wenn sie ausdrücklich als:
Weltgeschichte für Künstler bearbeitet und gelehrt würde. — Man
hat schon öfter auf das eigenthümliche Mißverhältniß aufmerksam gemacht,
welches in der Zahl bedeutender Landschafts- und Genremaler einerseits, und
Her ausgezeichneten Geschichtsmaler andererseits stattfindet. Das liegt zu-
nächst allerdings in der größeren Schwierigkeit der Behandlung, welche ein
historisches Motiv der Komposition darbietet, sodann aber auch und fast
noch mehr in dem oben erwähnten Uebelstande, daß die wenigsten Historien-
maler eine wirklich umfaffende und gründliche Kenntniß der Geschichte besitzen.
Insbesondere mangelt ihnen im Allgemeinen jene Totalanschauung des Ge-
sammtverlaufs der Weltgeschichte, welche für das richtige Verständniß
und die klare Auffassung der einzelnen weltgeschichtlichen Perioden, der Ent-
wicklungsphasen innerhalb dieser Perioden, der Knotenpunkte, welche sie mit
einander verbinden, sowie endlich der isolirten historischen Charaktere von un-
umgänglicher Nothwendigkeit ist.
Denn es ist nicht hinreichend, daß man, um einen historischen Charakter
in einem bestimmten Moment darzustellen, die Kenntniß der Thatsachen, welche
grade mit diesem Moment in unmittelbarer Verbindung stehen, und derjeni-
gen Details, welche grade diesen Charakter betreffen, erwirbt; sondern man
muß alle Hauptbeziehungen, in welcher dieser Moment zu dem ganzen, un-
mittelbar vorhergehenden und nachfolgenden Entwicklungsgänge der Geschichte
steht, kennen, um die wahre Bedeutung desselben beurtheilen zu können. Denn
eine Begebenheit gewinnt nur dadurch eine welthistorische Bedeutung und giebt
auch nur dann folglich den Vorwurf zu einem historischen Gemälde ab, wenn
sich in ihr der Charakter einer bestimmten Epoche abspiegelt, d. h. wenn sie
von entscheidendem Einfluß auf die geschichtliche Entwicklung dieser Epoche ist.
Alle Wendepunkte in der Geschichte sind damit an sich historische Momente,
weil sie nach rückwärts und vorwärts eine historische Perspektive eröffnen, und
zwischen zwei größeren solcher Wendepunkte giebt es wieder eine Reihe kleine-
rer Abschnitte, die ebenfalls historische Momente, wenn auch von geringerer
Bedeutung sind. Dieses System von historischen Knotenpunkten, in denen sich
die einzelnen rothen Fäden der gesammten historischen Entwicklung zusammen-
schürzen, bildet ein Netz von historischen Momenten, das, an einer Stelle zer-
rissen, sofort seine Haltbarkeit verliert und unverständlich wird.
Es ist darum für den Historienmaler und den Bildhauer, welcher histo-
rische Charaktere' darstellen will, von Wichtigkeit, ja von Nothwendigkeit, von
diesem Netz im Großen und Ganzen eine übersichtliche und klare Vor-
stellung zu bekommen, damit er von der relativen Größe der einzelnen
Knoten und ihrer gegenseitigen Stellung, d. h. von der relativen Wichtigkeit
der einzelnen historischen Momente und Charaktere und ihrer innerlichen Be-
ziehung zu einander eine richtige Anschauung gewinnt.
Eine „Weltgeschichte für Künstler" müßte daher — mit Ausschließung
alles speziell politischen, statistischen, administrativen, ökonomischen Materials
der Geschichte — nur vom Gesichtspunkte der künstlerischen Dar-
stellbarkeit vorgetragen werden, d. h. sie müßte, vom Beginn der Ge-
schichte bis auf die Gegenwart herab, alle diejenigen geschichtlichen Momente,
Thatsachen, Personen, welche eben durch ihre historische Bedeutung den Stoff
zu künstlerischen Vorwürfen zu geben geeignet sind, in ihrem innerlichen
Zusammenhänge und mit steter Beziehung zum gesammten Entwicklungsgänge
der Geschichte zusammcnfassen. Hierbei wäre zugleich fortdauernde Rücksicht
auf Sitte, Bekleidung, Privatleben, religiöse Gebräuche der
Völker, und was sonst zur lebendigen Anschauung des betreffenden Zeit-
abschnitts gehört, zu nehmen; so wie auch die etwa vorhandenen Kunstwerke
und Kompositionen, welche einzelne geschichtliche Momente bereits zur Dar-
stellung gebracht, kritisch zu beleuchten, d. h. nüt dem ideellen Gehalt der That-
sachen selbst in eine beurtheilende Vergleichung zu bringen. Daß ein Vortrag,
der diesen Anforderungen genügte, auf die allgemeine künstlerische Bildung der
jungen Künstler in mehrfacher Weise fruchtbringend und anregend wirken würde,
möchte wohl schwerlich zu begreifen sein. Wären unsere Akademien etwas
mehr als bloße ABCschulen der Kunst, so wäre die Errichtung eines Lehr-
stuhls für „Welt-Geschichte für Künstler" eine absolute Nothwendigkeit.
(Fortsetzung folgt.)
wisser Geschmack, diese Nachzeichnungen geschickt als „Komposition" zu verwen-
den. Es versteht sich von selbst, daß diese Hebung eine nothwendige ist, ja
wir geben sogar zu, daß es eine Grundbedingung aller künstlerischen Ausbil-
dung ist, sich aller Mittel zur Darstellung zu bemächtigen in einer Weise,
daß der Künstler ihrer Herr ist und in ihrer Anwendung keine Schwierig-
keiten findet.
Allein diese Beherrschung der technischen Mittel — worin die große Mehr-
zahl unserer Künstler, verbildet durch die rein materielle Lehrmethode der
Akademien, das ganze Endziel ihres Strebens findet— ist nur der Anfang der
künstlerischen Ausbildung, die Propädeutik des eigentlichen Kunststudiums.
Daß die Künstler wissen, wie sie etwas darstelleu sollen, ist außerordentlich
wichtig, vorausgesetzt, daß sie eben so klar wissen, was sie darstellen sollen.
Aber hierin sieht es denn allerdings armselig genug aus. Man braucht nicht
die Finger beider Hände, um die Künstler herzuzählen, welche einen wahrhaft
würdigen Begriff von dem ideellen Gehalt ihres Berufs haben. Am
kläglichsten sieht es hierin in demjenigen Gebiet der Kunst aus, welches mit
Recht als das höchste, weil gedankenvollste und ideenreichste, betrachtet wird:
in der Historienmalerei. Es ist unglaublich, was sich heutzutage Alles
als Historienmalerei betrachtet wissen möchte. Der erste beste Vorgang aus
der Geschichte, zu lesen auf Seite so und so von Becker's Handbuch, wird,
wenn er sich nur hübsch „arrangiren" läßt, wenn er nur einige „gute Stel-
lungen," eine „wirksame Gruppirung" u. s. f. darbietet, zum historischen Motiv
gestempelt und als solches frisch weg in Farben gebracht. Allenfalls giebt
man, mit Bezug auf den Vorgang, den betreffenden Personen die ihrer Si-
tuation ungefähr konvenirenden Physiognomien: ein trauriges, lächelndes, ern-
stes Gesicht, eine bärbeißige, liebliche, abschreckende, verhimmelnde, trotzige
u. s. f. Miene — lauter Dinge, die man fix und fertig in den Grenzen des
akademischen Schemas findet und sich bequem zurecht legen kann: und das
Historiengemälde ist fertig. — Solchen Leuten von innerem Gehalt, von
gedanklicher Durchdringung des Stoffs, überhaupt von Jdeenkomposition re-
den, heißt, dem Blinden von Kolorit sprechen. Aber es ist einmal so. Sie
haben es nicht anders gelernt, und wissen es nicht besser. Eine ernste, geistig
vertiefende Bildung haben sie nie genossen, sind vielleicht von Quarta, höch-
stens von Tertia des Gymnasiums abgegangen — auf die Akademien, und
sind seitdem in der akadeniischen Tretmühle estrexercirt worden, bis sie das
künstlerische ABC am Schnürchen wußten, um dann — ein selbstständiges
Atelier zu gründen.
Es ist wahrhaft beklagenswerth, welche geistige Verwahrlosung in künst-
lerischer Beziehung dadurch sich von Generation zu Generation vererbt. Das
Allerschlimmste aber besteht darin, daß die jungen Leute allmälig die Vorstel-
lung von Dem, was ihnen zur Erfüllung ihres höheren künstlerischen Berufs
Noth thut, ganz verlieren, ja wohl in einen Dünkel Hineingeratheu, der ihnen
vollends einen Riegel vor die Pforte einer weiteren Ausbildung vorschiebt.
Um auf die Historienmalerei zurückzukommen, so liegt die Frage nahe:
wo lernt der Historienmaler das, was ihm für seinen Beruf das Nothwen-
digste ist: Weltgeschichte? Auf der Akademie nicht, aus Büchern — lernt sich
dergleichen auch nicht; denn um die Ideen, welche der Entwicklung des Men-
schengeschlechts zu Grunde liegen, kennen zu lernen, genügt es nicht, die dürren
Thatsachen sich einzuprägen, welche erst Bedeutung und Sinn aus eben jenen
allgemeinen Ideen erhalten. Ein Studium der Weltgeschichte aus Büchern
ist aber für den Künstler noch viel weniger als für jeden andern hinreichend,
da es ihm weniger auf die politischen, statistischen, militairischen, diplomati-
schen und anderweitigen Beziehungen, welche den Hauptinhalt der Handbücher
ausmachen, ankommt, als auf die allgemein menschlichen Beziehungen,
auf das Dramatisch-Bedeutsame, kurz, auf die anschaulich-poetische
Form, in welcher die historische Idee sich offenbart. Denn ohne diese an-
schaulich-poetische Form ist kein historischer Vorwurf, und habe er als histo-
rischer eine noch so große Bedeutung, für die Darstellung im Bereich der
bildenden Kunst brauchbar. Vielleicht für die Poesie des Worts, weil diese,
gleich den Thatsachen selbst, eine hintereinander fortgehende Entwicklung zu-
läßt, nicht aber für die Poesie der Malerei. Es liegt hierin eine der
wichtigsten Grenzscheiden zwischen den Darstellungsformen der Dichtkunst und
der Malerei, eine jener Grenzscheiden, die — eben aus Unkenntniß der innern
Verschiedenheit der Gebiete — von den Künstlern nur zu oft überschritten
werden.
Eine solche Darlegung der Kultur- und Völkergeschichte wäre nur dann
für den Künstler brauchbar und nützlich, wenn sie ausdrücklich als:
Weltgeschichte für Künstler bearbeitet und gelehrt würde. — Man
hat schon öfter auf das eigenthümliche Mißverhältniß aufmerksam gemacht,
welches in der Zahl bedeutender Landschafts- und Genremaler einerseits, und
Her ausgezeichneten Geschichtsmaler andererseits stattfindet. Das liegt zu-
nächst allerdings in der größeren Schwierigkeit der Behandlung, welche ein
historisches Motiv der Komposition darbietet, sodann aber auch und fast
noch mehr in dem oben erwähnten Uebelstande, daß die wenigsten Historien-
maler eine wirklich umfaffende und gründliche Kenntniß der Geschichte besitzen.
Insbesondere mangelt ihnen im Allgemeinen jene Totalanschauung des Ge-
sammtverlaufs der Weltgeschichte, welche für das richtige Verständniß
und die klare Auffassung der einzelnen weltgeschichtlichen Perioden, der Ent-
wicklungsphasen innerhalb dieser Perioden, der Knotenpunkte, welche sie mit
einander verbinden, sowie endlich der isolirten historischen Charaktere von un-
umgänglicher Nothwendigkeit ist.
Denn es ist nicht hinreichend, daß man, um einen historischen Charakter
in einem bestimmten Moment darzustellen, die Kenntniß der Thatsachen, welche
grade mit diesem Moment in unmittelbarer Verbindung stehen, und derjeni-
gen Details, welche grade diesen Charakter betreffen, erwirbt; sondern man
muß alle Hauptbeziehungen, in welcher dieser Moment zu dem ganzen, un-
mittelbar vorhergehenden und nachfolgenden Entwicklungsgänge der Geschichte
steht, kennen, um die wahre Bedeutung desselben beurtheilen zu können. Denn
eine Begebenheit gewinnt nur dadurch eine welthistorische Bedeutung und giebt
auch nur dann folglich den Vorwurf zu einem historischen Gemälde ab, wenn
sich in ihr der Charakter einer bestimmten Epoche abspiegelt, d. h. wenn sie
von entscheidendem Einfluß auf die geschichtliche Entwicklung dieser Epoche ist.
Alle Wendepunkte in der Geschichte sind damit an sich historische Momente,
weil sie nach rückwärts und vorwärts eine historische Perspektive eröffnen, und
zwischen zwei größeren solcher Wendepunkte giebt es wieder eine Reihe kleine-
rer Abschnitte, die ebenfalls historische Momente, wenn auch von geringerer
Bedeutung sind. Dieses System von historischen Knotenpunkten, in denen sich
die einzelnen rothen Fäden der gesammten historischen Entwicklung zusammen-
schürzen, bildet ein Netz von historischen Momenten, das, an einer Stelle zer-
rissen, sofort seine Haltbarkeit verliert und unverständlich wird.
Es ist darum für den Historienmaler und den Bildhauer, welcher histo-
rische Charaktere' darstellen will, von Wichtigkeit, ja von Nothwendigkeit, von
diesem Netz im Großen und Ganzen eine übersichtliche und klare Vor-
stellung zu bekommen, damit er von der relativen Größe der einzelnen
Knoten und ihrer gegenseitigen Stellung, d. h. von der relativen Wichtigkeit
der einzelnen historischen Momente und Charaktere und ihrer innerlichen Be-
ziehung zu einander eine richtige Anschauung gewinnt.
Eine „Weltgeschichte für Künstler" müßte daher — mit Ausschließung
alles speziell politischen, statistischen, administrativen, ökonomischen Materials
der Geschichte — nur vom Gesichtspunkte der künstlerischen Dar-
stellbarkeit vorgetragen werden, d. h. sie müßte, vom Beginn der Ge-
schichte bis auf die Gegenwart herab, alle diejenigen geschichtlichen Momente,
Thatsachen, Personen, welche eben durch ihre historische Bedeutung den Stoff
zu künstlerischen Vorwürfen zu geben geeignet sind, in ihrem innerlichen
Zusammenhänge und mit steter Beziehung zum gesammten Entwicklungsgänge
der Geschichte zusammcnfassen. Hierbei wäre zugleich fortdauernde Rücksicht
auf Sitte, Bekleidung, Privatleben, religiöse Gebräuche der
Völker, und was sonst zur lebendigen Anschauung des betreffenden Zeit-
abschnitts gehört, zu nehmen; so wie auch die etwa vorhandenen Kunstwerke
und Kompositionen, welche einzelne geschichtliche Momente bereits zur Dar-
stellung gebracht, kritisch zu beleuchten, d. h. nüt dem ideellen Gehalt der That-
sachen selbst in eine beurtheilende Vergleichung zu bringen. Daß ein Vortrag,
der diesen Anforderungen genügte, auf die allgemeine künstlerische Bildung der
jungen Künstler in mehrfacher Weise fruchtbringend und anregend wirken würde,
möchte wohl schwerlich zu begreifen sein. Wären unsere Akademien etwas
mehr als bloße ABCschulen der Kunst, so wäre die Errichtung eines Lehr-
stuhls für „Welt-Geschichte für Künstler" eine absolute Nothwendigkeit.
(Fortsetzung folgt.)