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melucken zu Eairo" u. s. f. mußten in seinem Atelier verbleiben, ohne ansge-
stellt werden zu dürfen. Ja, die „Restauration" verlangte sogar von dem
Künstler, auf seinen Schlachtgemälden, welche dem Ruhme Napolcon's, der
Nation und der Armee geweiht waren, an die Stelle der nationalen Triko-
lore die bourbonischen Lilien zu setzen. — Auf das Tiefste verletzt durch diese
Ungerechtigkeit, verließ Horace Frankreich und zog mit seinem Vater gen
Italien, woselbst sie mit großer Auszeichnung empfangen wurden. Nach mehr
als halbjähriger Frist kehrten sie über die Alpen zurück. Das Louvre blieb
Horace verschlossen. Da unternahm die Oppositionspresse eine Schilderhe-
bung unseres Künstlers. Etienne und Jo uh gaben in dem „Konstitutionnel"
ein Verzeichniß und eine Kritik der mit Beschlag belegten Werke, welcher
Schilderhebung eine lange Reihe anderer Journalisten und Kritiker sich an-
schlossen. Die Macht der Presse siegte und dem Publikum wurde das Atelier
Vernet's geöffnet, welches in dem sogenannten „petite Athenes“ lag,
einem Stadtbezirke, welcher darum diesen ehrenvollen Beinamen führte, weil
daselbst die Hotels der Mars, der Duchesnois, des Talma und des
Vernet lagen.

Von Fremden und Freunden umringt, ohne sich durch ihr Kommen und
Gehen, ihr Sprechen und Verkehren stören zu lassen, führte Horace in den
Jahren 1820 bis 25 die vielen Werke aus, welche seinen Ruhm nicht allein
über Frankreich, sondern über ganz Europa ausbreiteten. „Die Barriere von
Clichy", „die Schlacht von Jemappes", „das Grab Napoleons", „die Ver-
theidigung von Saragossa", „die Schlacht von Montmirail", „der Abschied
von Fontainebleau", „die Brücke von Arcole" u. s. w. entstanden gleichsam
spielend unter seiner schöpferischen Hand.

Der Herzog von Orleans, welcher die Opposition gegen die Bourbonen
und ihre antinationale „Restauration" und Reaktion nicht nur nicht entmuthigte,
sondern sogar beschützte auf seinem Wege zum Throne, erklärte sich öffentlich
für den Mäcen Vernet's. Der allgemeine und anerkannte Nationalruhm
desselben sollte dem schlauen Herzoge eine Staffel bilden zum nationalen
Thron. Daß sein Egoismus, und nicht der Ruhm des Volkes, noch viel
weniger die heilige Sache der Kunst, hierbei das leitende Motiv bildete, geht
am ersichtlichsten daraus hervor, daß er selbst immer den Gegenstand der
gegebenen Darstellungen bildete. In allen Kostümen, in allen Episoden seines
erfahrungsreichen Lebens, bald bei Valmy, bald bei Jemappes, wo er so
höchst zweifelhafte Lorbeeren einerndtete, bald in den Alpen der Schweiz, bald
zu Vendome, wo er einem Priester das Leben rettete, ging er farbenprunkend
und gefeiert aus der Werkstätte unseres Künstlers hervor. Diese Gemälde
wurden öffentlich ausgestellt, öffentlich besprochen, öffentlich belobt als treff-
liche Werke eines allgemein gefeierten nationalen Künstlers, auf welchem das
Anathem des „Legitimismus" ruhte.j

Wenn erst Künstler oder Schriftsteller sich hier so emporgearbeitet haben,
daß nicht allein die Nation für sie ist, sondern auch ein einflußreicher Theil
am Hofe, so wendet die regierende Partei in der Regel das Blatt plötzlich
um und macht aus den Unterdrückten oder Verfolgten mit einem Male ge-
suchte Günstlinge, um so sie selbst, wie die öffentliche Meinung, für sich zu
gewinnen. Die gefürchtete Macht wird zu einer befreundeten erhoben, um
sich zu sichern, ihr aber den oppositionnellen Lebensfaden abzuschneiden. So
auch mit Vernet.

Diese orleanistischen Gemälde und die damit verknüpften Machinationen
erregten bereits die Aufmerksamkeit der Regierung. „Der alte Arm" der
Bourbons mit ihrer „Restauration" zitterte bereits vor dem „neuen" der
Orleans mit ihrer Revolution. Man erkannte bei Hofe, daß es unklug sei,
einmal populäre und gefeierte Genies, wie Vernet, noch weiter zu verfolgen,
ja, selbst nur zu ignoriren. Dergleichen unkluge Maaßnahmen begleitet der
nationalstolze und geistreiche Franzose, der stets Allem, was Genie heißt,
enthusiastisch seinen Beifall bezeugt, immer mit lächelnder Verachtung. Man
fühlte und erwog dies Alles bei Hofe und überschüttete plötzlich den bereits
vierzigjährigen Künstler mit Aufträgen und Belohnungen. Carl X. berief
ihn zu sich und bestellte bei ihm „die große Revue auf dem Marsfelde",
zur Zeit im Museum von Versailles; der Herzog von Angoulsme sein eigenes
„Portrait". Für das Louvre ward außerdem „Julius II., die Arbeiten im
Vatikan anordnend" erbeten. Ja, die königliche Gnade und Klugheit ging
so weit, ihn zum Direktor der Akademie in Rom zu ernennen, mit in der
Absicht, ihn von Paris zu entfernen.

Gerade in diese Zeit fällt die große Schlacht zwischen den Klassikern
und Romantikern. Vernet, zu tief eingedrungen in das Wesen und in die Be-
deutung des Naturalismus, dem er huldigte — zu besonnen, fest und gebildet,
um sich von den Verirrungen des Romanticismus hinreißen zu lassen, eignete
sich nur die Vorzüge desselben an. „Die Verhaftung der Fürsten unter Anna
von Oesterreich", „Philipp August vor der Schlacht von Bouviers", die
letzte Jagd Louis XVI.", „Editha mit dem Schwanenhälse an der Leiche

Heralds" sind sprechende Beweise dieses freien, bewußten Eklekticismus, der,
auf die Basis einer klaren Naturanschauung gegründet, die Vorzüge einzelner
Richtungen und Meister sich zu Nutze macht, ohne in ihre Fehler und Ueber-
schreitungen zu verfallen. Alle diese Gemälde waren vor seinem Abgänge
nach Rom öffentlich ausgestellt.

- Sein Erscheinen daselbst gab den französischen Künstlern einen neuen
Aufschwung. Der Villa Medicis entwuchs ein Werk des Meisters nach dem
anderen in rascher Aufeinanderfolge. „Die Räuber von Terracina", „die
Jagd in den pontinischen Sümpfen", „die Beichte des Räubers", „die Judith",
„die Vittoria von Albano", „der Papst in St. Peter", „Michel-Angelo und
Rafael im Vatikan" zeigten ebenso von dem ausdauernden Fleiße und der
leichten Schöpfungskraft des Künstlers, als von seiner höheren stilistischen
Ausbildung.

Bei seiner Rückkehr nach Paris hatten die Dynastien gewechselt und sein
früherer Mäcen hatte als Louis Philipp den Thron bestiegen. Horace ver-
ehrte ihm als Visitenkarte das Bild, welches ihn im Jahre 1830 im Stadt-
hause darstellt. Der Künstler der „Schlacht von Jemappes" wurde natürlich
der Favorit des Hofes und erhielt sogleich für drei- bis viermal Hundert-
tausend Franks Aufträge. Auch wurde ihm in Versailles der „Saal zum
Ballschlagen" eingeräumt, dieses riesenhafte Atelier, aus dem so viele bedeu-
tende und umfangreiche Gemälde im Laufe von zehn Jahren hervorgingen.

Obgleich äußerst fleißig und thätig, zögerte er doch nie, die beschwerlich-
sten und gefahrvollsten Reisen und Expeditionen zu unternehmen, wo es galt,
seine Kenntnisse zu bereichern und Studien für seine Werke zu machen. An
zwanzigmal durchschiffte er das Mittelmcer gen Afrika, um die Kriege, Cha-
raktere, Sitten, Kostüme, Landschaften Algeriens und seiner Beduinen und
Kabylen an Ort und Stelle mit eignem prüfenden Künstlerauge nach allen
Richtungen hin kennen zu lernen. Er wohnte vielen Schlachten und Zügen
bei, skizzirte ruhig unter dem Donner der Kanonen und bei dem Kriegsgeschrei
der Feinde, lebte, aß, schlief in den Zelten der Araber und eignete sich so die
'genaueste Kenntniß des orientalischen Lebens und Charakters an, welches,
durch seinen künstlerischen Genius vergeistigt, so schlagend und wirksam in
seinen Gemälden sich abspiegelt.

Bei Allem zeigte er eine Schnelligkeit und Schärfe der Auffassungsgabe,
welche allgemeines Staunen erregte. Was und wen er einmal genau be-
trachtete, war auch seinem Gedächtniffe scharf eingeprägt. Von den vielen
Anekdoten hier nur eine. Eines Tages besuchte er den Marquis de Pastoret,
einen höchst gebildeten Kunstkenner und Kunstsammler. Erstaunt ruft dieser
aus: „Nun, wir haben uns ja Jahre lang nicht gesehen." — „Es ist gerade
sechs Monate Per, daß ich von Paris abwesend bin und Ihnen die Hand
gedrückt habe. Sie gingen damals mit einer Dame im Garten der Tuilerien
spazieren." — „Mit einer Dame?" — „Jawohl. Ich werde sie ihnen zeich-
nen." — Vernet ergreift einen Bogen Papier und einen Bleistift und zeich-
net rein und sicher das Portrait der Dame, die er vor sechs Monaten am
Arme des Marquis gesehen hatte. — „Hier ist sie", sagt er zum erstaunten
Marquis, ihm das Blatt überreichend. — „Wahrhaftig", ruft dieser aus,
„jetzt erinnere ich mich, das war die Herzogin von V., die ich zufällig dort
traf." — Das Blatt wird noch heut im Hotel de Pastoret aufbewahrt. —

Das innige und freundschaftliche Zusammenleben Vernet's mit den
Arabern, die genaue Kenntniß ihrer Sitten und Gebräuche und das sorg-
fältige Studium der Bibel, welche seine Haupt- und Lieblingslektüre bildet,
daheim wie in der Fremde, in seinem Arbeitskabinet, wie unter den Palmen
der Wüste, haben den großen Künstler zu der festen Ueberzeugung gebracht,
daß die alten Hebräer sich genau so kleideten, wie die modernen Araber.
Der Künstler arbeitet gegenwärtig an einem literarischen Werke, in welchem
er beweist, daß die meisten Sitten, Gesetze, Gebräuche, Kostüme noch genau
dieselben sind, welche im „Exodus" beschrieben werden. — Der erste Theil
dieses interessanten Werkes ist bereits im „Institut äs kranos" vorgelesen
worden. — Daher dieses „arabifier“ oder Arabisiren biblischer Personen und
Sujets in seinen Gemälden. Fast alle derartigen Gemälde fallen in die
Jahre 1834 und 35.

Den nächstfolgenden gehören seine großen Schlachtscenen an, wie „die
Siege von Jena, Friedland, Wagram und Foutenay", die allein im I. 1836
ihre Vollendung fanden. Ihnen folgte die Galerie von Konstantine in dem
„historischen Museum" von Versailles, an welcher er ohne Unterbrechung
sechs Jahre arbeitete. Sie wurde im Jahre 1842 vollendet. Drei große
Gemälde wurden der Einnahme dieser alten Numidenstadt gewidmet. Außer-
dem sind noch in diesem Saale aufgestellt „die Erstürmung des Teniah",
„der Kampf von Habrah", „das Bombardement von St. Jean d'Ullona" und
„die Einnahme von Antwerpen."

Louis Philipp besuchte ihn oftmals in seinem Atelier. Welche sociale
und politische Ueberzeugungen und Grundsätze Vernet hatte, beweist Folgen-
 
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