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erreich! werde. Es wäre in mehrfacher Beziehung wünschenswerth gewesen,
wenn bei Gelegenheit der öffentlichen Jahressitzung am 21 Juli d. I. sich
der bfsicielle Berichterstatter über diesen Gegenstand weiter ausgelassen und
namentlich das Prinzip, welches seitens der Akademie selbst für die Errichtung
der höheren Malschule zu Grunde gelegt ist, näher angedeulet hätte. Der
Jahresbericht aber äußert sich über die Veränderungen in den Organisation
der Akademie nur nebensächlich, indem er bemerkt, daß eine „anregendere
Lehrart bei der Kompositions- und der Gewandungsklasse durch Verbindung
derselben unter Leitung-des Professor von Klober eingerichtet worden" sei,
und daß „für den praktischen Unterricht im Malen zwei neue Lehrklassen ge-
bildet wurden, die eine für die ersten Hebungen im Kopiren nach der Natur
und nach Vorbildern unter dem Vicedirektor Professor Herbig, der auch
das Malen in der Bildergalerie des königlichen Museums leitet, und eine
höhere Mal-Klasse, welche dem Geschichtsmaler Professor Julius Schräder
anvertraut ist und unverzüglich in's Leben treten wird." Worin aber nun
der specifische Unterschied zwischen den beiden Malklassen bestehe, und wie
überhaupt das Verhältniß dieser höheren Malklasse nicht nur zu der andern
Malklasse sondern auch zu der Kompositions- und Gewandungs-Klasse sei,
darüber spricht sich der Bericht in keiner Weise aus. Dies Verhältniß ist
aber, so viel wir wissen, ein sehr genau, nehmlich in folgender Weise, prä-
cisirtes: die bisherige Malklasse unter der Leitung des Vicedirektors Prof.
Herbig bleibt unverändert bestehen. Der Unterricht in derselben umfaßt
das Studium der Köpfe und Hände. Ebenso bleibt die Kompositionsklasse,
aber in Verbindung mit dem Unterricht in der Gewandung, unter Leitung
des Professor von Klöber, in ihrer bisherigen Gestalt. Der Unterricht in
derselben bezieht sich auf Alles, was den äußeren Habitus der menschlichen
Figur betrifft, also namentlich Stellung, Haltung, Bewegung und Gewaud-
legung in Rücksicht auf das linearische Arangement der Formen und ihrer
Gruppirung. Der Ausdruck „Komposition" ist für diese Unterrichts stufe viel-
leicht nicht ganz Passend, weil sie damit schon der Begriff einer freien ideellen
Gestaltung verknüpft. Diese aber ist es nun gerade, um welche es sich in
der neueingerichteten höheren Malschule handelt: und es ist daher die Be-
stimmung, daß nur solche an der hiesigen Akademie sich bildenden Schüler,
welche die vorgenannten elementaren Klassen bereits absolvirt haben, in die
höhere Malschule ausgenommen werden können, eine in der gegenseitigen
Stellung der Klassen begründete und naturgemäße. Zugleich aber geht an-
drerseits aus dieser Bestimmung hervor, daß es sich in dieser neuen Einrich-
tung nicht blos um eine neue Zweigklasse, wie aus der Fassung des Jahres-
berichts geschlossen werden könnte, sondern um eine wirklich höhere Stufe,
um einen entschiedenen und sehr bedeutungsvollen Fortschritt zur Erfüllung
des eigentlichen Berufs der Akademie als höherer Kunstanstalt handelt. Diese
ganze Angelegenheit ist daher, abgesehen von ihrer großen praktischen Wich-
tigkeit in Bezug auf die künstlerische Ausbildung der akademischen Schüler,
auch von großer prinzipieller Tragweite.

Alle elementaren Fächer — und, da wir hiebei hauptsächlich die Malerei
int Auge haben, so verstehen wir darunter zunächst die untere Malklasse und
die Kompositions- resp. Gewandungsklasse, sowie das Zeichnen nach der Antike
und anatomischen Vorbildern —■ haben den Zweck, den Schüler zunächst mit
dem Typischen der Kunsttechuik vertraut zu machen. Die Thatsache, daß durch
-die ungeheure Mannigfaltigkeit der Naturformen einer und derselben Art doch
stets eine einfache Grundform hindurchgeht, weiche, obwohl individuell modi-
ficirt, doch in allen sich wiederfindet — wie ;. B. die Form des menschlichen
Auges bei jedem Individuum eine andere und doch in ihrem Grundtypus bei
allen wieder die nehmliche ist: — diese Thatsache leitet naturgemäß darauf,
daß dem bildenden Künstler es vor allen Dingen Noth thue, diese einfache
Grundform genau, gewissermaßen in ihrer mathematischen Gesetzmäßigkeit,
kennen zu lernen. Die typische Form kann man die ideale nennen', wobei
der ästhetische Begriff dcS Ideals als höchster Kunstform vorläufig nnberück-
sicht bleibt. Sie ist ideal, weil in ihr die Idee z. B. des Auges, aut reinsten
und einfachsten zur Erscheinung kommt. Diese Verwirklichung der typischen
Form als idealer ist nun am meisten in der antiken Darstellung erreicht, und
darum ist das Studium der Antike annäherungsweise eins mit dem Studium
der Grundform an sich. Aehnlich ist es in der Gewandung und in der Kom-
position (in akademischen Sinne dieses Worts.) In allen diesen Fächern
handelt es sich nur um das Allgemeine, um ein Schema von Regeln, um
ein Reglement von Linien, um ein System von Grundformen — kurz um
einen gewissen Formentypus. Die vollkommne Vertrautheit mit diesen Typen,
welche gleichsam als die Buchstaben der Kunst betrachtet werden können,
ist die uothwendige Grundlage für jeden Unterricht in der Kunst, aber sie ist
eben auch nur die Grundlage. Es mag sein, daß das geborne Genie die
regelmäßige Einschulung in diese Elemente der Kunst zuweilen entbehren kann,
da es, durch seinen künstlerischen Instinkt geleitet, das Richtige treffen mag:

allein einesthcils ist das Genie kein Maaßstab für eine akademische Erziehung,
da es seinen eignen Weg geht, andrerseits wird früher ober später selbst beim
Genie ein gewisser Mangel nicht ausbleiben, wenn es das elementare Stu-
dium gänzlich vernachlässigt. Namentlich gilt dies von den höheren Kunst-
fächern, welche über die blos individuelle Wahrheit hinausgehen, von der
Historienmalerei und der monumentalen Skulptur, bei denen der Stil, d. h.
der allgemeine Charakter idealer Gestaltung, die Hauptsache ist.

Wir verkennen also, wie gesagt, die Nothwendigkeit eines solchen ele-
mentaren Unterrichts nicht, betrachten ihn vielmehr als eine absolute Bedin-
gung für jede gründliche Durchbildung in der Kunst, und zwar nicht blos in
technischer, sondern ebenso sehr auch in rein künstlerischer Beziehung. Allein
diese Nothwendigkeit schließt nicht zugleich auch die ein, daß darin nun Alles
erschöpft sei, was dem Kunstschüler zu wissen nöthig. Man bedenke wohl,
daß, wenn das Typische das Allgemeine, das Ideelle ist, es darum eben ■—
sofern es vom Individuellen und Konkreten abstrahirt — auch nur das Ab-
strakte ist.

Wenn der Unterricht also (wie es bisher bei unsrer Akademie, wie bei
allen andern, war) bei dieser Grenze einen Abschluß macht, so schlägt das Ideelle,
das grade das absolut Wahre in der Kunst (d. h. das Schöne) sein soll, in
sein Gegentheil um und wird zum Unwahren, zum Konventionellen, zum Un-
schönen. Denn das Schöne ist nicht möglich ohne individuelle Charakteristik,
ohne konkrete Bestimmtheit. Ohne diese wird es leer, inhaltslos, abstrakt —
ein seelenloses Schattenbild. Hier sind wir also an dem Markstein angekommen,
welche den Elementarunterricht von der Syntax —- um diesen Ausdruck fest-
zuhalten — in der Kunst scheidet. Bleibt der Schüler au dieser Grenze
stehen, so verbannt er sich selbst aus dem eigentlichen Heiligthum der Kunst
in die Vorhalle zum Tempel; es müßte denn sein, daß er hinlänglichen Geist
und genügsame Energie besitzt, um — freilich aber durch mancherlei Irrwege
hindurch und nach Ueberwindung von tausend Schwierigkeiten — auf eigenem
Wege den Eingang zu suchen. Es ist nicht hinreichend, daß die Akademie
ihren Schülern die Elemente der Kunst darreicht, sie muß ihnen auch zeigen,
wie sie dieselben zu benutzen, zusammenzustellen, zu gestalten haben, um den
wahren und vollkommenen künstlerischen Ausdruck für die in ihnen sich bildenden
Phantasiegestalten zu finden. Es ist nicht hinreichend, daß sie als eine alma
mater artium die Unmündigen mit der Muttermilch nährt, 'sie muß ihnen auch
zeigen, wie sie die Füße setzen müssen, um selber gehen zu können, sie muß
sie auf dem Wege zum Ziel stützen und leiten, bis sie stark genug sind, um
sich den ihnen passendsten Pfad selber zu suchen.

Die neueingerichtete „höhere Malschule" ist nun als eine solche Uuter-
richtsstufe zu betrachten, in welcher die Schüler, nachdem sie hinlänglich mit
den Elementen der Kunst, den Grundtypen und allgemeinen Gestaltungsgesetzen
der Darstellung vertraut geworden sind, den ersten Schritt zu einer höheren
Praxis machen. Sie fangen hier an, Bilder zu malen, d. h. aus den
allgemeinen Formen heraus malerische Ideen in konkreter und individueller
Weise zu gestalten. Ein Bild ist vor Allem ein Ganzes in sich, ein organisch
Gestaltetes. Wie das organisch- Lebendige über dem Mechanischen und Ana-
tomischen, als Todtcm, nur nach mathematischen Gesetzen Bestimmbarem, er-
haben ijt, obgleich diese letzteren Momente in dem Organischen enthalten sind,
so steht auch das Bild über der bloßen Studie. Ein Bild malen heißt etwas
künstlerisch- Lebendiges schaffen —: dazu aber gehört mehr als zur Konstruktion
eines Automaten, der nur den Schein des Lebens hat. Der Funke, welcher
das künstlerische Erzeugniß zu einem Lebendigen macht, ist ein ideeller; hier
hört das Messen und Konstruireu auf: es soll geschaffen, im Innern gezeugt
werden. Aber wenn das Schaffen au sich etwas Ideelles ist, so ist es als
Gestalten zugleich etwas Konkretes. Die Technik selbst gewinnt daher auf
dieser Stufe eine ganz andere Bedeutung. Linie, Farbe, Form werden neue
Faktoren einer ideellen Darstellung, das gesammte Material erhält eine Be-
ziehung auf den der Darstellung innewohnenden Geist: das ist die Aufgabe
der höheren Malschule, deren speziellen Zweck wir demnach dahin defiuircn
können, daß sie dem Schüler den Weg zeigt, um die typ ische Allgemeinheit
der Formen zur individuellen Wahrheit und konkreter Charakteri-
stik zu gestalten. Das Charakteristische ist das wahrhaft Individuelle und darum
der wahre künstlerische Ausdruck der Idee, welchen Inhalt dieselbe haben mag.
Grade die Charakteristik aber in Farbe, Form und linearischer Gruppirung
hebt die typische Abstraktion auf. Die Schüler der höheren Malklasse werden
also Manches aus der früheren Elementarklasse zu vergessen haben, um das,
was sie darin lernten, wahrhaft fruchtbar zu machen; gleichsam wie man das
Gerüst abbricht, wenn das Gebäude vollendet ist. Denn in dem Festhalten
am Typischen liegt die Gefahr, in's Konventionelle und Schematische zu ge-
ratheu, welches eine der schlimmsten Schranken gegen die individuelle Charak-
teristik, also gegen die Lebenswahrheil und konkrete Gestaltung der künstlerischen
Darstellung, ist.
 
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