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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 5.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1198#0008
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Auf der andern Seite ist ein so lebhafter und inniger Verkehr
zwischen den bildenden Künsten und der Dichtkunst; man hat so oft
und vielfältig Gelegenheit, gemeinsame Grundsätze und unterschei-
dende Eigenthümlichkeiten zu erörtern, daß dies allein ein Literatur-
blatt beschäftigen könnte. Das soll aber nicht ledigliche Aufgabe
des unsrigen sein. Vielmehr soll eS dem Leserkreise des Kunstblattes,
der zum großen Theil nicht genug Zeit und Muße für den Markt
der Dichtkunst übrig hat, diesen nahe rücken und in seinen wich-
tigsten Erscheinungen vorüber führen. Doch genug der Vorrede.
Das Publikum und wir selber werden ja erfahren, wie es sich ent-
wickeln wird.

Künstler und Werkstätten.

II. Adolf Menzel.

Die Ritterstraße in Berlin ist eine jener neuen breiten Stra-
ßen, welche von der Friedrichsstadt ab mit großen neuen Häusern
zögernd in das Köpeniker Feld hinauswachsen. Einzelne, theilS
vollendete, theils begonnene-oder projectirte öffentliche,-großartige
Bauten sind in dieses Feld verlegt. Aber nur langsam folgt ihnen
der Gleichschritt der Privathäuser, welche Straßen bilden, nach, und
noch mancher Bauplan will entworfen sein, eh' der Stadtplan auf
dem Papier mit den vielen Straßen ohne Häuser eine Wahrheit
wird. Auch die breite, stattliche Ritterstraße hat kaum den dritten
Theil ihrer projectirten, allerdings sehr großen Länge zu einem Fac-
tum gemacht. Tritt man daher von der Stadtseite ein, so bildet
das offene Feld die entgegengesetzte Grenze, in welchem sich in der
Ferne einzelne Häuser, wie stehen gebliebene Coulissen, oder wie
vorgeschobene Wachtposten bemerklich machen. Die zusammenstehen-
den Häuser aber sind groß, elegant und glatt. Weder Balkone
noch der leider verpönte Erker unterbrechen die gleichsam znsammen-
geschweißte längliche Riesenwand gleichvortretender Fagaden, denen
nur in den kleineren ornamentistischen Gliederungen einige Abwech-
selung vergönnt ist. An einiger: von ihnen ist eine Prosilirung
r:ach mittelalterlichem Formensystem versucht worden: ir: Berlin eine
Seltenheit. Den einziger: charakteristischen Vorbau bilden die Por-
tale der Kellerwohnungen, deren Giebelfelder ur:d Seitenschilder mit
allem was zu des Leibes Rothdurft und Nahrung gehört, oft mit
wahrhaft byzantinischer Unbeholfenheit, oft nicht ganz ohne Geschick
bemalt sind. Diese Kellerwohnungen liefern auch der: auöreichen-
den (Kontingent an Straßenjugend, welche auf den Bürgersteigen
die verschiedenen Jahreszeiten durch verschiedene Spiele markirt.
Sonst ist es ziemlich unbevölkert ir: dieser: Straßen und so still, daß
mar: im Sommer aus den offner: Fenstern die Kanarienvögel und
die Piarwfortes schlagen hören kann. Die Ritterstraße ist deshalb
auch mehr vor: denen gesucht, die eine Geisteswerkstatt aufzuschlagen
Haber:, und die thurmartigen Endstockwerke mit großer: Fenstern, na-
mentlich an der Nordseite, zum Theil halb verhangen, lasser: auf
Malerwerkstätten schließen, deren sich in der That manche dort
befinden.

Wir haben es auf eine derselben, auf die von Adolf Menzel,
abgesehen, und steigen zu ihr ir: einem prachtvollen Hause drei
Treppen hoch empor. Wir treten ein. Sie ist sehr geräumig. Das
große, etwas hoch gelegene Fenster, zu dessen Brett ein Geschiebe
von dritter: und Stühlen hinaufführt, beherrscht ein großes Feld
von abgetheilter:, laubenreichen Gärten, begränzt durch die Hinter-
flügel der nächsten Stadtviertel und durch das Häusergewimmel der
eigentlichen Stadt, aus welchem sämmtliche Thürme und Kuppeln
sichtbar werden.

Es kann nicht leicht eine Werkstatt gedacht werden, welche so
reich und voll, so in allen Stücken eine Stoffwelt und eine künstle-
rische Richtung wiederspiegelt, wie die von Menzel: das ISte

Jahrhundert in naturalistischer Auffassungs-- unb Darstellungsweise.
Man blicke auf diese hundert mit sorgfältigem Fleiße ausgeführten
Studien, welche, dicht aneinander gereiht, die Wände bedecken. Ist
es ein nackter Körper, so hat er eine Stellung oder Bewegung, wie
ihn der Aktsaal niemals, das Leben aber in eigenthümlichsten und
charakteristischen Momenten hervorbringt; ist es ein Pferdekopf, so
siehst Du ihn in der schwierigsten Verkürzung, fast von vorne und
die Nüstern nach oben; hier ist ein Lichtblitz aus einer Laterne bei
Nacht auf der Straße, dort ein eigenthümlich wirkender Sonnen-
strahl, hier eine frappante Körperwendung, dort eine bezeichnende
Armbewegung festgehalten. Auf diesem Blatte liegt weicher Wol-
lenstoff, dort bauscht sich der Lüstre der Seide in originellen Falten-
motiven. Und eben soviele Motive, wie in der gleiche:: liegen, eben
so viele Ideen und Stoffe zeigen andere Blätter oder Leinewand-
streifen, sei es, daß keck hingeworfene Figuren -ein Genrestück zu
bilden haben, sei es, daß auf einer andern Tafel Baun: und Feld
und Wasser die Stimmung festhält, welche die Seele einer Land-
schaft zu werden bestimmt ist. Eine ganze Galerie von Cavalleriestu-
dien zeigt den Reitersoldaten in den verschiedensten Bewegungen mit
seinem Pferde, niemals, wie zum Abzeichnen ausgesucht und hinge-
stellt, sondern im schlagenden Momente, wie ihn das Leben erzeugt,
beobachtet und festgehalten. Diesen in Oel- oder Wasser- oder Pa-
stellfarben ausgeführten Studien schließt sich eine Sammlung von
Gypsabgüffen menschlicher Gliedmaaßen und Köpfe an. Wie unter
den Skizzen nur wenige vergilbte Stiche nach Raphael hängen, so
stehen nur wenige und bewährte Formen antiker Plastik auf den
Borten umher; den meisten Platz nehmen die über die Natur
gegossenen Formen und namentlich die verschiedenartigsten Todten-
masken ein; denn von den beiden Lehrmeistern der Künste, der
Antike und der Natur, hat es Menzel durchaus vorwiegend mit
der letzteren zu thun. Welche Wege des Eigensinns sie immer geht,
Menzel geht ihr unverdrossen nach, wohl wissend, daß er sie desto
sicherer und freier beherrscht und zwingt, je bereitwilliger er ihr ge-
horcht hat.

Was birgt sich hinter dieser wandgroßen Linnentafel? Eine
ganze Garderobe aus der Rokokozeit, von Sammet, von Seide und
von Wolle, goldgestickt und schlicht, eine ganze Reisrocks- und Tres-
senwirthschaft, dazu die stattlichen Dreimaster, die hohen Stöcke mit
den zierlich gearbeiteten Knäufen, damastene, geblümte Roben, selbst
historische Gewänder sind darunter: die bunte Haut eines bunten
Zeitalters, die wunderliche Hülle eines eigenthümlichen Geistes. Und
dieser Geist selber? Er ist auch unter den Apparaten des Malers reprä-
sentirt. Ein hohes Büchergestell, mit einem Helm bekrönt, beherbergt
die Schriftsteller des 18ten Jahrhunderts, von den schweinsledernen
Folianten bis zu denkleinen goldgeränderten Taschenbüchern undgenealo-
gischen Kalenderchen. Meist sind es Geschichtswerke und der Besitzer
hat sie vollkommen inne; er geht mit ihnen um, wie mit seinem
Handwerkszeuge, und sie. sind nicht nach dem Spruche Rückert's
aufgestellt, wonach man Bücher anschafft, um sich vom Lesen zu
dispensiren. Denn Menzel hat nicht bloß seine Werkstatt, er hat
vor Allem sich selber für den allezeit fertigen Dienst der Kunst aus-
gerüstet. Stellt ihn auf einer wüsten Insel vor eine Leinewand
und gebt ihm einen Stift in die Hand — es ist gleichgültig in
welche, in die rechte oder linke — und ihr werdet sofort ein promp-
tes Bild und immer einen echten Menzel bekommen: keck und
ftisch in der Auffassung, gesund von Gedanken und — grundrichtig
in der Zeichnung. Jeder andere Maler hält sich für vorbereitet ge-
nug, wenn seine Linke die Palette halten kann und seine Rechte
auf den Diebstahl an der Natur abgerichtet ist, Menzel» ruhte
nicht, bis der linken Hand der Pinsel, der Griffel und die Feder
eben so geläufig war, wie der Rechten. So schütteln sich seine bei-
den Arme in treuer Verbrüderung die Hand. Greift die Rechte
 
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