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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 10.1902

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Rilke, Rainer Maria: Sonderheft: Heinrich Vogeler - Worpswede
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https://doi.org/10.11588/diglit.6695#0021
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Heinrich Vogeler— Worpswede.

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Üch eine gewisse Verbindung mit ihnen auf Urteil. Es wird sich darum handeln,
herstellt, ist das gesammelter, kritikloser aus dem Gesamt - Inhalt des vorliegenden
Anschauung, der Blick eines ruhigen weiten Werkes und dem Künstler, der es geschaffen
Auges, der ruht indem er schaut und hat, ein Bild zu machen, eine Welt, vor der
schauend reift. Und so müssen auch Kunst- man schauend stille steht und von der man
Werke gesehen werden: wie weite einsame in bescheidenen Worten spricht.
Landschaften mit hoch-gewölbten Himmeln, Dieses Bild ist lange vor meinen Augen,

wie grosse dunkle Bäume, wie Meere ruhig Seit Jahren steht es in meiner Nähe,
™ Abend liegend, wie entlegene Häuser wachsend und sich ergänzend, und ich habe
in Ebenen, wie schöne schlafende Kinder mich so daran gewöhnt, dass mein Blick,
oder junge saugende Tiere, wie tausend wenn er aus grosser Ferne schwer zurück-
ginge jenes ewigen und zeitlosen Lebens, kehrt, wie auf etwas Heimatlichem darauf ruht,
das der Tag nicht beachtet, und an dem die Auch andere Bilder umgeben mich, Bilder
Stunde geschäftig vorübergeht. mit unbestimmten Grenzen, die noch wachsen,

Alle, die seit Jahrhunderten versucht die vielleicht noch sehr gross werden, —
nahen, über Kunst und Kunst-Betrachtung dieses eine, von dem ich hier liebevoll reden
zu schreiben, haben diesen Standpunkt, be- will, ist nicht grösser geworden, ja es ist
wusst oder unbewusst, gesucht, haben ihn nicht einmal gross. Sein Wachstum, von
alter Kunst gegenüber auch teilweise geltend dem ich oben sprach, geht nach innen vor
gemacht, weil das Entfernte ruhiger erscheint
als das Nahe, haben ihn aber immer wieder
verloren, indem sie sich zu Urteilen hin-
reissen Hessen, die nur da waren, um durch
andere und wieder andere fortlaufend ersetzt
zu werden. Da aber Werke der Kunst
immer Ruhe sind, festgehaltene Gleich-
gewichts-Momente, so kann Unruhe in jedem
Fall (wo es sich um wirkliche Kunst han-
delt), nur auf Seite des Beschauers sein,
"während das Werk selbst (mag es alt oder
neu sein) immer wie ein Baum betrachtet
werden kann, d. h. reine Anschauung aus-
hält und zulässt. Wer mit dieser Absicht:
einfach zu schauen, an Bilder und Bild-
Werke herantritt, der wird ganz vergessen,
zu urteilen, — oder doch sein Urteil wird
anders sein: es wird in einem Stehenbleiben
vor dem Kunst-Dinge oder in einem lang-
samen Vorübergehen liegen und sich aus
den Worten, in die es nicht gehört, in eine
einfache anspruchslose Handlung zurück-
ziehen. — Sobald man dem Urteil über
Kunst so entschieden alles Recht abspricht,
wie ich es hier in aller Kürze gethan habe,
wird die Aufgabe, über einen Künstler zu
schreiben, wesentlich verändert. Auch hier
wird alles auf Anschauung gestellt, nicht Heinrichvogklkr. Exlibris. Radierung.
 
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