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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 10.1902

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Rilke, Rainer Maria: Sonderheft: Heinrich Vogeler - Worpswede
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https://doi.org/10.11588/diglit.6695#0023
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Heinrich Vogeler—Worpswede.

3°5

berühmten, fast Unbekannten, handeln diese
Zeilen. — Er war, als er in Düsseldorf an der
Akademie studierte, ein junger Mensch von
einer kleinen leisen Eigenart, die sich in
seinen Arbeiten noch nicht aussprach oder
höchstens, wo sie etwa durchdrang, sie
herunterzog unter das Mittelmaß, das jeder
Fleissige erreichen kann. Wenn etwas die
Ansätze zu einer eigenen Welt verriet, war
es der Umstand, dass ihm das Aussehen und
das Benehmen anderer Menschen seltsam
fremdartig schien, und die Maße, die in seiner
e'genen Welt einmal herrschen würden, wandte
er schon damals an, wenn er Geberden und
Gebilde seiner Umgebung, die durchaus
nicht durch ungewöhnliche Verhältnisse auf-
fielen, als übertrieben oder
vergrössert empfand und
darstellte. Für den uner-
fahrenen, flüchtigen Beob-
achter ergäbe sich eine
Neigung zur Karrikatur als
Hauptsache, während das
Karrikieren nur als Neben-
F °lge ausgelöst wurde
durch die starke Empfind-
ung gewisser Verschieden-
heiten, die durch An-
wendung eines anderen
inneren Maßstabes bedingt
war. Diese Stellung hat
die Karrikatur in Vogeler's
Werk auch immer beibe-
halten; auch wo sie ver-
schiedene Formen annahm,
sich gleichsam verkleidete,
ist sie nicht Kritik (was
die eigentliche Karikatur
immer ist), sondern eine
eigentümliche Reflex-Be-
wegung gegen etwas, was
seine in sich ausgeglichene
Welt unharmonisch zu
stören droht. Anfangs, als
diese Welt sich sehr un-
beschützt fühlt, schafft
seine Fantasie Centauren
und Ungetüme, die das
feindliche Unharmonische,
das immer zu grosse,

immer übergrosse Fremde, verkörpern
sollen; später, als seine Welt schon richtige
Mauern hatte, tritt es als das Geheimnis-
volle und Gespenstische auf, vor dessen
unverhältnismässig langen Armen die Mauern
zurückweichen, und endlich, als er sich in
seinem Reich schon recht sicher fühlt (so
manchmal in den neuen Zeichnungen, von
denen noch in diesem Aufsatze die Rede
sein wird), behandelt er es mit einer an
Überlegenheit leicht erinnernden Ironie.

So wird man recht haben, wenn man
bei der Entwickelung Heinrich Vogeler's ein
ganz besonderes Augenmerk darauf richtet,
was aus seinem jeweiligen Verhältnis zu
dem Fremdartigen, das ihn umgibt oder

HEINRICH VOGELER—WORPSWEDE.

Ex libris. Radierung,
 
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