Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 10.1902

DOI Artikel:
Rilke, Rainer Maria: Sonderheft: Heinrich Vogeler - Worpswede
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6695#0031
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
R. M. Rilke: Heinrich Vogeler—Worpswede. 3r3

nicht wissen. — Das also ist der Roman-
tiker Heinrich Vogeler; ein Mensch, dessen
ganzes Schicksal darauf gestellt war, ob er
die Wirklichkeit, die in ihm angedeutet war
und deren er bedurfte wie des Brotes,
würde finden und ausbauen können zu
einem Leben, zu einer Kunst, zu einem
Künstler - Leben ganz eigener, unvergleich-
licher Art. Heute nun kann man es mit
aller Bestimmtheit aussprechen: dass es ihm
gelungen ist, dies Problem zu lösen. Eine
halbe Stunde kaum von dem Orte, wo ich
diese Zeilen schreibe, ist ein Garten und ein
Haus und ein Leben, das in Erfüllung ge-
gangen ist, eine Welt, die sich entwickelt
hat und wächst, und man wundert sich
manchmal, dass nicht auch ein eigener
Himmel mit dazu gehört mit einigen grossen
und deutlichen Sternen und einer Sonne,
welche ganz zarte Wiesen-Blumen mit be-
sonderer Zärtlichkeit aufzieht und ziert. —
Es ist eine Welt mit Beschränkungen und
Mauern. Aber, der sie gebaut hat und be-
sitzt, leugnet diese Mauern nicht und sucht
sie nicht zu verdecken. Er schmückt sie
und spricht von ihnen wie von etwas, was
ihm auch gehört und er freut sich, dass sie
schön sind und zu seinem Hause passen.
Er hat sie öfters gemalt. Auf dem schönen
Buchzeichen für den Baron Johann Knoop
findet man sie, und auf dem grossen Bilde
»Heimkehr« auch — und sie tragen gerade
in diesem Bilde dazu bei, der Szene Weite
zu geben und Grösse, und reden in ihrer
Art von der Unendlichkeit und von dem
Himmel, der dahinter anhebt. Es sind ganz
eigentümliche Mauern; sie trennen nicht nur
eine geschlossene Eigenart von den profanen
Nachbarn ab, sie umgrenzen auch ein kleines
Bild einer grossen Zukunft und scheiden es
v°n der Gegenwart, von der Zeit, in der
solche Erfüllungen noch nicht reifen.

Ich habe noch nie eine Wirklichkeit
gesehen, die so reich ist und zugleich so
thatsächlich und wirklich in jedem Augen-
blick. Die Wirklichkeit im Leben der Bauern

erscheint uns so, wenn wir als Kinder auf
Bilderbogen Darstellungen aus diesem Leben
sehen. Da sind alle Verrichtungen natürlich
und notwendig, einfach und gut; und wie
aus diesem Leben, ganz von selbst, die
Ernten kommen und das Brot, so kommt
aus dem Leben Heinrich Vogeler's von selbst
eine Kunst, die von seinem Heimats-Lande
abhängig ist, die gute und schlechte Jahre
hat, die seinen Fleiss, sein Vertrauen und
Kraft und Liebe seiner Hände braucht, als
ob sie sein Feld wäre und er Säemann und
erntender Schnitter dieses Feldes.

Heinrich Vogeler hat sich frühzeitig
(1892 schon) in einem Lande niedergelassen,
über dessen Eigenart seit Jahren viel ge-
schrieben worden ist, — nahe bei dem Dorfe,
dessen Name seit dem Jahre 1895 so bekannt
ist, als wäre dort eine entscheidende Schlacht
geschlagen worden. Fritz Mackensen war
hier sein Lehrer. Und auf den jungen
Menschen mag seine überzeugende Energie,
die an den gewaltigen Aufgaben der Natur
gewachsen war, beinahe heroisch gewirkt

h. vogeler. >£>er Riese Goliath*. Feder-Zeichnung.
 
Annotationen