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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 10.1902

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Rilke, Rainer Maria: Sonderheft: Heinrich Vogeler - Worpswede
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https://doi.org/10.11588/diglit.6695#0032
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Rainer Maria Rilke—Westerwede:

l. vogeler. "Der heilige Franz und die Fischet. Feder-Zeichnung.

haben. Er schloss sich eng an diesen Mann
an, der sich schon das Recht errungen hatte,
dieses Land zu lieben; von ihm geführt
lernte er seine Heimat kennen: ein Adam,
an der Hand Gottvaters, der noch atemlos
ist vom letzten Schöpfungs-Tag.

Er sah nicht dasselbe, was jener sah,
er liebte nicht, was jener liebte; aber dass
er zum Sehen und Lieben kam, das dankt
er dem erfahrenen Freunde, der von den
vielen Schönheiten dieses Landes wusste
und dessen Leben es war, die Wege zu
suchen, die zu ihnen hinführen und über sie
hinaus. Und er fand noch Andere, die sich
hier angesiedelt hatten und auf ihre Art an
dem Lande hingen, das übrigens auch heute
noch in vielen Dingen unerkannt ist und
unverkündet von der Kunst, die sich ihm
angeschlossen hat. Ist es ein Vorwurf für

diese Kunst, wenn man sagt,
dass das Land viel grösser ist
als sie? Ich glaube nicht. Die
Künstler, welche hier wohnen,
wachsen noch. Noch sind sie
mehr Abgeschlossene als Ein-
same. Aber wenn ihre Liebe
nicht nachlässt, so werden sie
vielleicht einmal Eingeweihte
aller jener Stimmungen und
Stunden sein, in welchen die
erhabenen Einsamkeiten ihres
Landes sich offenbaren. — Doch
hier ist nur von H. Vogeler die
Rede, und es ist zu sagen, dass
er das Land nicht um der
grossen Gesetze willen, die darin
herrschen, Hebt, sondern des-
halb, weil es ihm Raum gegeben
hat für seinen Garten, und weil
seine grossen Winde ihm die
Bäume biegen, die er gepflanzt
hat, und weil aus seinen weiten
Himmeln das Licht fliesst, zu
dem seine Blumen sich schlank
und zitternd erheben. Ihm ist
ies nicht um die Bäume zu thun,
"T| die irgendwo fern in der Haide
stehen, Waisen, vom Winde
gepflanzt und vom Zufall er-
zogen: er brauchte einen Platz,
wo er seine Bäume aufrichten konnte, und
die Blumen auf anderen Wiesen sind ihm
wie die Sterne des Himmels, die man
zwar lieben, von denen man aber nicht
lernen kann. Und lernen wollte er von
seinem Garten. Dort wollte er einzelne
Dinge versammeln, Schluss-
Vertreter dessen,
was in jenen
weiten Ebenen
wächst, zer-
streut u. sinn-
los sich wieder-
holend, — dort
sollte für jedes
seiner leisen
Erlebnisse ein
Sinnbild stehen,
das selbst wieder

Vignette.
 
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