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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 10.1902

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Van de Velde, Henry: Das neue Kunst-Prinzip in der modernen Frauen-Kleidung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6695#0082
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Professor Henry van de Velde— Weimar:

364

FIA WILLE—BERLIN. Promenade-Kostüm.

Crefeld, der verstorbene Hugo van der Woude
und ich selbst. Die Ausstellung wurde am
4. April 1900 eröffnet und dauerte bis zum
13. desselben Monats. Die Zahl der unter
der Leitung von Künstlern ausgeführten
Toiletten war beträchtlich genug, um neben
einem Saal, der für die 6 von mir aus-
gestellten Toiletten reserviert wurde, eine
grosse Galerie in der Crefelder Stadthalle
zu füllen. Die Künstler stellten 40 Gegen-
stände, darunter 24 Toiletten und 16 Original-
Detailzeichnungen von Mohrbutter und mir aus.

Es war das grosse Verdienst der Aus-
stellung, dass sie einer latenten und unbe-
stimmten Idee Gestaltung gab, der Idee
nämlich, dass die Künstler auch in dieser
Frage mitzusprechen haben, und dass die
Frauen zu lange der Willkür der Lieferanten
überlassen waren, welche ihre Passivität aus-

beuteten, nicht im Interesse der Schönheit,
die sich durch die Moden hindurch Bahn
bricht, sondern nur zu rein materiellem
Nutzen. So wirkte diese Ausstellung ebenso
auf die, welche sie besuchten, wie auch auf
die, welche nur durch die Zeitungen von ihr
unterrichtet wurden. Die Idee hatte die Macht
zu handeln bekommen und richtete sich jetzt
gegen das Leben und seine Vorkommnisse,
wie ein junger Ritter, dem seine Pairs die
Rüstung verliehen hatten. Einige erkannten
in dem jungen Ritter einen direkten Ab-
kömmling Don Quichotes, aber bald wurden
sie genötigt, ihn ernsthaft zu nehmen.

Ein Album wurde im Anschluss an diese
erste Ausstellung herausgegeben. Eine Aus-
wahl von Toiletten wurde darin reproduziert,
und Frau Maria van de Velde schrieb eine Vor-
rede, in der sie die Bedeutung dieser Aus-
stellung und dieses Albums klarlegte. Von
den Toiletten sagt sie: »Nicht als Schaustücke
sind diese Kostüme entstanden, sondern sie sind
von Künstlern für bestimmte Damen und im
Einverständnis mit ihnen entworfen worden.«
Und weiter: »Es genügt, dass derartige
Versuche gemacht sind, gemacht von Künst-
lern, die entschlossen sind, den betretenen
Weg mit zielbewusster Absicht weiter zu
verfolgen«. Von der Ausstellung selbst heisst
es: »Wiederkehrende Ausstellungen würden
den Frauen, die mit der Mode brechen
wollen, eine Stütze und ein Führer sein.
Und wie diese Ausstellungen der Mode die
Spitze bieten würden, so würden sie sicher-
lich allmählich die Schneider für den künst-
lerischen Einfluss gewinnen.« Zu Anfang
sehen wir klar das zu verwirklichende Pro-
gramm, das heute vergessen zu sein scheint.
Seit dem Tage, da die Mode ihre Herrschaft
antrat, ist die Kleidung niemals wieder Aus-
druck persönlicher Schönheitspflege, noch
Äusserung des allgemeinen Kunst-Ver-
mögens gewesen.

Im Laufe dieser Ausstellung hielt ich
in Crefeld einen Vortrag*) über die künst-
lerische Hebung der Frauen - Tracht, in
welchem ich dem Direktor des Crefelder
Museums Dank sagte dafür, dass er einen

*) Die künstlerische Hebung der Frauen-Tracht von
H. van de Velde. Verlag von Kramer & Baum, Crefeld.
 
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