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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 10.1902

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Van de Velde, Henry: Das neue Kunst-Prinzip in der modernen Frauen-Kleidung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6695#0085
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Das neue Kunst-Prinzip in der Frauen-Tracht.

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und der »eisernen Jungfrau« zu paradieren.

Man diskutierte inzwischen heftig über
meine drei Vorschläge, besonders nach den
Vorträgen, die ich während des Winters
1900/1901 in Dresden, Berlin und Wien hielt.
Freiwillige Missverständnisse pfropften sich
auf unfreiwillige, und ich musste mich recht-
fertigen, den »weiblichen Frack« (3. Vorschlag)
erfunden zu haben, und war genötigt, meine
2 ersten Vorschläge eingehender zu behandeln.

Die Toilette ist dem Kampf derselben
Faktoren unterworfen, wie das ganze soziale
Leben; die einen streben nach Verall-
gemeinerung, und die andern ziehen es vor,
alles im besonderen zu betreiben, aber diese
Faktoren können sich besser in Hinsicht auf
das Kostüm, als im sozialen Leben trennen.
Die Toilette wird durch den Ort, wo man
sie trägt, bestimmt, und diese Orte sind ent-
weder private oder gemeinsame. Im Hause,
am eigenen Herde, herrscht eine andere Atmo-
sphäre als auf der Strasse und wieder eine
andere in den feierlichen Zusammenkünften,

ELSE OPPLER—NÜRNBERG.

Gesellschafts-Kleid.

und es Hegt klar auf der Hand, dass die
Toilette sich diesen wesentlichen Unter-
schieden anpassen muss. Die Männer oder
ihre Schneider — (man kann es zum Lobe
von beiden sagen) haben diese Unterschiede
gefühlt, und mehr oder weniger drückt jeder
seine Individualiät in seinem Haus- oder
Arbeits- Anzug aus, während sie sich auf der
Strasse ähnlich und bei feierlichen Gelegen-
heiten gleich sind. — Heute kann ich nur
kurz auf diese drei Punkte, welche die Frauen-
Tracht betreffen, hinweisen, und die Basis
angeben, auf der wir zu ihrer künstlerischen
Hebung arbeiten können.

In meinem Crefelder Vortrag sagte ich
voraus, dass diese Art Ausstellung lebens-
fähig sei, und dass man das Beispiel nach-
ahmen würde. »Diese Ausstellung fasste
eine Menge individueller Anstrengungen
zusammen und gab ihnen die erste Weihe.
Sie hat die Tragweite eines bedeutsamen
Ereignisses, weil sie Wiederholung in sich
trägt; von heute an sind Ausstellungen von
Damen-Kleidern in die Kategorie der Kunst-
Ausstellungen eingereiht. Sie werden sicher-
lich von Zeit zu Zeit stattfinden neben den
Gemälde- und Skulpturen-Ausstellungen und
den in letzter Zeit anerkannten Vorführungen
von Werken der angewandten Kunst«. In
der That fand in Leipzig im Jahre 1901 eine
solche Ausstellung statt und zwar unter der
Leitung des Herrn Thiel; auch in Berlin
wird zu Anfang des Winters eine solche
von Herrn Schultzc—Naumburg organisiert
werden. Und so wurde das Interesse des
Publikums für diese Frage wach erhalten;
einerseits lenkten die Ausstellungen, anderseits
aber die individuellen Versuche die Auf-
merksamkeit auf sich, und was mich betrifft,
so halte ich die letzteren für am frucht-
barsten und für am meisten befähigt, mög-
lichst schnell eine grosse Anzahl von Frauen
zu bewegen, sich von fremder und interessierter
Abhängigkeit frei zu machen. Ich will die
Rolle einer der »Mode« unterworfenen Frau,
die Unsittlichkeit solcher Einrichtung nicht
noch weiter behandeln, sondern auf die
individuellen Anstrengungen hinweisen, will
die Aufmerksamkeit derer erregen, die stets
 
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