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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 10.1902

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Van de Velde, Henry: Das neue Kunst-Prinzip in der modernen Frauen-Kleidung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6695#0086
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368

Professor Henry van de Velde— Weimar:

PROF. P. BEHRENS—DARMSTADT. Gesellschnfts-Kleid.

ihr Möglichstes für alles noch nicht Erreichte
thun. Ich muss von vornherein gestehen,
dass wir noch nicht den Grad von Eleganz
des Pariser Schneiders und der Pariser
Schneiderin erreicht haben. Das ist eine
betrübende aber bestehende Thatsache, und
absichtlich finden sich hier neue Pariser
Toiletten neben künstlerischen Versuchen,
die dem ersten (vom Jahre 1900) gefolgt
sind. Ich weiss wohl, dass man mir entgegnen
wird, dass einer der augenscheinlichsten und
grössten Vorteile dieser Toiletten in der
Vorzüglichkeit ihres Schnittes und ihrer Aus-
führung liegt und dass sie, Dank dieser
Eigenschaften, unsere Arbeiten so weit
überragen. Diese Thatsache führt uns fataler-
weise zu der Behauptung, dass erst von dem
Augenblick an, wo die maßgebenden
Schneider und Schneiderinnen sich für unsere
Versuche interessieren werden, die Bewegung

den gewünschten Umfang annehmen wird.
Ich kenne eine Anzahl Damen, die ihr gerne
beitreten würden, die aber einen unüber-
windlichen Abscheu gegen ein schlecht ge-
machtes Kleid haben, und die anderseits
nicht selbständig genug sind, um es nach
eigenen Angaben bei einer Schneiderin
zweiten oder dritten Ranges arbeiten zu
lassen. Ich begreife ihren Abscheu sehr
wohl, denn der Reiz, der in solch gut ge-
schnittenen Toiletten (siehe Seite 380—386)
liegt, ist zu gross, als dass die Frau, die
doch einmal nur Frau ist, ihr widerstehen
könnte, und die Eleganz der Garderoben von
Seite 380—386 haben wir noch nicht erreicht.
Und dennoch ist die Konzeption dieser
Toiletten eine ganz gewöhnliche, und ihr
Reiz Hegt einzig und allein in der Schönheit
der Ausführung. Dass die grossen Be-
kleidungs-Häuser sich eines Tages für unsere
Versuche interessieren werden, unterliegt
keinem Zweifel; schon jetzt ignorieren sie
sie nicht mehr. Das Soutache - Ornament
des Kleides auf Seite 381 beweist klar, dass
sie von unserer Bewegung beeinflusst worden
sind, oder dass sie bei ihrer Kundschaft eine
Neigung dazu entdeckt haben, die sie nicht
als Letzte ausbeuten wollten. Die Damen-
Schneider von Bedeutung würden wirklich
zu grosse Gefahr laufen, wenn sie der Be-
wegung nicht folgten; natürlich entlehnen
sie dieser Bewegung, was das Assimilier-
barste ist, was diese am meisten auszeichnet,
ohne jedoch ihrem Haupt-Karakter Genüge
zu thun. Ich will nicht von ihnen glauben,
dass Unklarheit der Grund ist, aus dem sie
gerade dasjenige, welches sie unseren Ver-
suchen zu entlehnen unterlassen, der Haupt-
Bestandteil ist: nämlich die noch nicht
dagewesene Konstruktion und die vollständig
neuen Schnitte der von uns entworfenen
Kleider. Nun würden aber letztere mehr
durch die hervorragende Arbeits-Art, die
jenen Häusern eigen ist, gewinnen, als diesen
unsere Ornamentik, die unter ihren Händen
zudem nur verliert, nützen kann. Eine un-
ermessliche Kluft Hegt zwischen den Toiletten
von Frl. Oppler, Prof. Behrens und van de Velde
und denjenigen, welche auf S. 380—386 ab-
gebildet sind. Die Toilette, welche auf
 
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