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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Strnad, Oskar: Einiges Theoretische zur Raumgestaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0054

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Einiges Theoretische zur Raumgestaltung.

PROFESSOR OSKAR STRNAD - WIEN.

»GARTENHOF IN EINEM WIENER PRIVATHAUSE«

Es dürfte verständlich sein, daß unsere Fähig-
keit, Raum wahr zu nehmen, nicht eine ein-
fache Tätigkeit ist, sondern aus zwei getrennten
Funktionen besteht. Wir sehen zuerst mit den
Augen, wir erhalten also ein Bild und schätzen
nun die Weite vor uns, den Raum vor uns aus
unseren Lebenserfahrungen ab. Wir lernen das
von Kindheit an, und tun das so oft im Leben,
daß es uns nicht mehr bewußt wird und wir es
selbstverständlich tun.

Denken Sie sich eine Wiese, auf der Bäume
stehen. Die Bäume geben uns die Möglichkeit,
den Raum vor uns abzuschätzen. Wir zählen
unbewußt 1, 2, 3, 4 usw. Bäume und erhalten
eine stärkere Anregung, den Raum vor uns
wahrzunehmen. Je mehr Bäume auf der Wiese
sind, umsomehr wird sich der Raumeindruck
verändern, das ursprünglich Weite der Wiese
wird immer enger und enger werden und schließ-
lich sehen wir vor Bäumen den Wald nicht mehr.
Das heißt, wir haben statt des ursprünglich
weiten Raumeindrucks fast gar keinen Raum-
eindruck mehr. Es hat sich am Raum nichts
geändert und doch hat sich die Raumwirkung
für uns vollständig anders gestaltet. Der Wald

bietet uns jetzt fast gar keine Raumvorstellung
mehr, obgleich wir immer noch Raumwahr-
nehmung haben. Diese beruht aber auf dem
vorhandenen Raumbewußtsein, aus unserer Be-
wegung; wir wissen, wir können im Walde vor-
wärts gehen, wir erkennen ein fortwährendes
sich-ändern der Beziehungen der einzelnen
Baumstämme zueinander, durch das wir uns be-
wegen. Es ist ein fortwährendes Ändern der
Bilder, die unsere Augen aufnehmen. Der
Raumeindruck bleibt in diesem Falle deshalb
so schwach, weil wir von den vielen, vielen
Bäumen eine Unzahl von Bildern erhalten, die
uns die Möglichkeit eines einheitlichen Ab-
tastens von Baum zu Baum erschweren. Es
sind so viel Raumeinheiten, daß wir nicht im-
stande sind, dieses Vielerlei genügend zu über-
blicken, um daraus eine einheitliche Raumvor-
stellung zu erhalten.

Um nun bewußt Raumbildungen zu schaffen,
die ein einheitliches Erfassen ermöglichen, die
also klares, ruhiges Raumgefühl erzeugen,
müssen die Elemente, die mir die Möglichkeit
bieten, Raum mit den Augen abzutasten, so
gruppiert sein, daß das Auge in gleichmäßiger
 
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