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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Heckel, Karl: Harmonie und Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0134

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PROFESSOR JOSEF HOFFMANN.

»ZIMMER STUDIERENDER SOHNE«

HARMONIE UND STIL.

Das Harmonische in der Kunst beruht auf
der klaren Übersichtlichkeit der Teile, die
sofort auf das Ganze verweisen. Das Charak-
teristische in der Kunst dagegen verzichtet
auf eine gleichwertig sich ergänzende Gegen-
überstellung der Teile und beruht auf der Her-
vorhebung eines einzelnen führenden Motivs,
dem sich die übrigen mehr oder minder unter-
ordnen. — Unser Auge ist auch heute noch
viel mehr darauf vorbereitet, das Harmonische
voll einzuschätzen, als die lebensvolle Charak-
teristik einer Einzelgebärde. Diese Vorliebe
ist wohl begreiflich. Sie erklärt sich aus der
Macht der Tradition. Die Einführung in das
Vertraute und Gewohnte erfordert weit weniger
eigene Mitwirkung des Beschauenden, als das
Verständnis einer ungewohnten Originalität.

Die Tradition in der Kunst beruht vor allem
in dem Ideal, das uns die Griechen schenk-
ten, und das wir in seiner weisen Beschränkung
als einfache Klarheit schätzen, erreicht durch
harmonische Gliederung. Wir verehren es als
die Widerspiegelung einer einheitlichen Kultur.

Um im Geiste der Hellenen künstlerisch zu
schaffen, müßten wir, wie sie es waren, selbst
Kunstwerke sein, müßten wir vor allem in un-
serem Verhältnis zum Leben ein künstlerisches
Volk sein. Da dies nicht der Fall ist, vermögen
wir nicht aus unserer Gesamtheit heraus har-
monische, und dabei für unsere Art typische
Werke, im Sinne der Griechen hervorzubringen.
Wo wir es trotzdem versuchen, gelingen uns
nur Nachbildungen, die keine Vorstellung un-
seres eigenen Wesens geben.

Wer mit offenen Sinnen in der Glyptothek
zu München von den Griechen in den „Saal
der Neueren" gelangt, der wird bei jenen
Figuren, die sich treu an die griechische Tra-
dition halten, auch wenn er das außerordent-
liche Können bewundert, sich doch kaum des
Eindrucks erwehren können, daß er das Reich
der Unmittelbarkeit verlassen hat. Die Erkennt-
nis der verstimmenden Absicht der Nachbil-
dung einer für uns vergangenen Welt wird ihm
den Kunstgenuß trüben; vorausgesetzt, daß er
in der Kunst nicht nur das absolut Schöne
 
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