Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

DOI Artikel:
Heckel, Karl: Harmonie und Stil
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0145

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Harmonie und Stil.

PROFESSOR ERNST LICHTBLAU WIEN.

* FENSTERPLATZ EINES EMPFANGSZIMMERS«

„Der Stil ist die Physiognomie des Geistes",
lehrt uns Schopenhauer. Und weiterhin, daß
bei dem schöpferischen Talent der Stil die
Schönheit des Gedankens enthält, während bei
Scheindenkern die Gedanken durch den Stil
schön werden sollen. Diese Ausführungen
treffen auch für die bildenden Künste zu und
für die Forderung einer harmonischen Wirkung.
Wo die Erfindung den Stil bestimmt, da wird
auch die harmonische Ausgestaltung nicht leer
und flach wirken. Wo dagegen der Künstler
von der Harmonie seinen Ausgang nimmt, da
konnte nur dort, wo ihr eine schöpferische
Kultur zu Grunde lag, ein lebendig wirksames
Kunstwerk zu Stande kommen, während jede
unpersönliche Kunst inmitten einer chaotischen
Umwelt leer und flach wirkt. — Wie die Tat-
sache, daß das Verhältnis des Einzelnen zur
Welt eine Veränderung erfahren hatte, das
Barock hervorrief, so muß das neue Lebens-
ziel, das uns als Ideal vorschwebt, zu neuen
Stilgesetzen führen. — Dieses Lebensziel steht
nichtin Harmonie, sondern in schärfstem Wider-
spruch zur beherrschenden Wirklichkeit, voran
zu jenem Amerikanismus, der auch bei uns

Sein und Haben im Alltag bestimmt. Gewiß
auch diese Lebensrichtung hat ihre geistige
Blüte hervorgebracht, auf die sie stolz sein darf:
die Technik. Sie hat die Mittel bereichert,
aber den Lebenszweck verarmt. In einem Da-
sein , das einzig von dem Verlangen nach
Gewinn und wirtschaftlicher Machtstellung be-
herrscht wird und sich in ihm erschöpft, ist jede
Kunst als solche eine dekorative Lüge. Unsere
Zeit verhält sich zu Hellas wie ein amerikani-
scher Wolkenkratzer zu einem griechischen
Tempel. — Es bleibt bezeichnend, daß ehedem
gerade das handwerkliche, also das technische
seiner Betätigung den Künstler in seiner sozialen
Stellung schädigte und nur der gefühlsmäßige
und seelische Gehalt seines Wirkens diese Er-
niedrigung wieder ausglich. Ohne Zweifel ist
die Entwicklung der Technik auch dem Künstler
zu gut gekommen. Sie hat seine Bewegungs-
freiheit, seine Meisterung der Natur erweitert,
aber wo immer ihre Einschätzung das wahre
Ziel der Kunst vergessen lehrt, da bedeutet
sie deren Erniedrigung und Verarmung.

Es muß uns daher fern liegen, an Stelle der
Forderung der vollendeten Harmonie etwa einen
 
Annotationen