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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Heckel, Karl: Harmonie und Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0148

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Harmonie und Stil.

ENTWURF M. VERA BRUNNER. »GLAS MIT BEMALUNG«

Ersatz in der Betonung der technischen Voll-
kommenheit zu suchen. Im Gegenteil, das Heil
der Kunst liegt in der Überwindung der kultur-
fremden Wirklichkeit und der Selbstherrlich-
keit ihrer technischen Gestaltungen. Nicht im
sichtbaren Staat, sondern in der unsichtbaren
Volkheit wurzelt die Kraft des Künstlers.
Denn nur diese unbewußte Volkheit befindet
sich, gleich ihm, in grundsätzlichem Gegensatz
zu der maßlosen Vergötterung der Mittel gegen-
über dem Zweck. Wo der Künstler sich mit der
Volkheit eins weiß, zum Beispiel in manchen
Gebieten der Heimatkunst, da vermag auch
heute die Übereinstimmung mit ihr sein Schaffen
harmonisch zu bestimmen; aber wo auch sie
durch die Macht der Zeit niedergehalten wird
und gleichsam nur im Künstler selbst als Sehn-
sucht und Ahnung lebt, da bleibt er angewiesen
auf den Born seiner eigenen Persönlichkeit.

Es ist bezeichnend, daß man in Hellas nicht
vom Genie sprach, eben weil das ganze Volk
genial veranlagt war und sich in seiner Kultur
offenbarte. Bei uns dagegen liegt das Heil der
Kunst im genialen Einzelnen. Unter Genie aber
verstehen wir nicht einen Menschen, bei dem

ENTWURF KRITZI LOW. »GLAS MIT BEMALUNG«

alle Anlagen gleichwertig, also harmonisch, aus-
gebildet sind, sondern denjenigen, der durch
eine einzelne überragende Begabung sich aus-
zeichnet. Nicht auf der bloßen Steigerung des-
sen, was allen gemeinsam ist, beruht seine Be-
rufung, sondern in seiner Eigenart. Die Ver-
einheitlichung seiner vielstimmigen Natur wird
nicht durch Ausgleich bewirkt, sondern durch
die organisch gestaltende Macht dieser Eigen-
art, die unter- und überordnet und so seinem
Wesen und Schaffen den Stil gibt.

Es leuchtet ein, daß unter solchen anders
gestalteten Verhältnissen auch die Gesetze der
Kunst wesentlich andere geworden sind und
daß nicht das Ideal der Harmonie, sondern die
Macht der Persönlichkeit ihre Stilgesetze be-
stimmt. Nicht in bizarrer Laune, sondern erfüllt
von den künstlerischen Lebensidealen, die uns
heute im Kampfe mit der Unkultur vorschweben.

Die germanische Phantasie hat von je danach
gestrebt, auch das Ungebundene und Unbe-
grenzte zum Ausdruck zu bringen und ihr Ideal
in der Formbewegung zu sehen. Dieses Be-
streben vermag sie nicht im Beharren bei dem
Begriff der gegliederten Schönheit zu erfüllen,
 
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