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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Back, Friedrich: Karl Thylman, Darmstadt
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Karl Thylmann f Darmstadt

zuerst ausführlich, dann im Stil der Reife, der
mit wenigen, bedeutenden Strichen das Wesen
greift. Und fast bis zum Ende beschäftigt ihn
die Landschaft. Die Entwicklung wird hier be-
sonders deutlich: vom Behagen an der bunten
Fülle des Einzelnen zu gehaltvoller Einfachheit.
Nun zeigt sich, wie der Flug ins romantische
Traumland seinem Stil zu gute kam: er half zu
der Freiheit des Ausdrucks, die sich in den
schwingenden, zuckenden, flammenden Linien
der März-Holzschnitte, in der Lithographie „Bei
Certosa" und Zeichnungen wie dem „Felsentor
mit Buchen" bewährt (Abb. S. 198). Den ma-
lerischen Einzelreizen der Natur ist er später
nur einmal noch mit den reichen Mitteln seiner
Ätzkunst nachgegangen: in der Landschaft von
1914 (Abb. S. 200).

Der Krieg hat nur in zwei Blättern.die aller-
dings zum Stärksten der Kriegsgraphik ge-
hören, einen Niederschlag gefunden. Um so
entscheidender war die mittelbare Wirkung des
ungeheuren Erlebnisses. Eine gewisse Weich-
heit seiner Natur, die unter Umständen die
Entwicklung gefährden konnte, trat zurück.
Sinn und Stil richteten sich ganz aufs Große,
Einfache. Der Linienholzschnitt, von seiner
werkfrohen Hand selbst geschnitten und ge-
druckt, wird ihm nun Hauptmittel der Verviel-
fältigung. Die wunderbaren Blätter „Ruhe auf
der Flucht" und „Heimsuchung" (Abb. S. 202
und 203) zeigen, wie meisterlich er die Technik
des 15. Jahrhunderts aufgenommen und in
seinem Sinn entwickelt hat. Gründlich sind die
kargen Mittel des Schnitzmessers ausgenützt,
um zu individualisieren und zugleich eine Reihe
von Tonstufen zu bilden, die Raum und Licht
in die Fläche bringen. In festlichem Rhythmus
sind die hellen und dunklen Massen geordnet.
Selten ist die Einheit von Natur und Mensch so
beglückend dargestellt worden.

In den köstlichen Gulistan-Zeichnungen, einer
Bilderfolge für kleine und große Leute, die
Thylmann 1911 geschaffen hatte, diente dieLinie
als Träger bunter Märchenphantasie, in den
1912 erschienenen Ornamenten zu Goethes
„Orphischen Urworten" als abstraktes Symbol

von Empfindungen. Hier, in den Holzschnitten
der Reife, zu denen auch die „Kluge Jungfrau"
gehört, ist sie gemeistert als lebendigster, bün-
digster Ausdruck der bewegenden, formenden
Kräfte, die in den Erscheinungen wirken.

Die Entwicklung der von jung auf mystisch
gestimmten Persönlichkeit hätte wohl auch ohne
den Krieg auf religiöse Gegenstände hingeführt,
die uns seit 1914 in Thylmanns Kunst öfters
begegnen. Die Innigkeit, die sich in dem lei-
denden Christus ausspricht (Abb. S. 201), stammt
aus denselben Quellen, die das Empfinden eines
Schongauer und Dürer genährt haben.

Der Eintritt und die Ausbildung im Heer
brachte zunächst eine Pause in die künstlerische
Arbeit. Als sich aber der Ausmarsch um Monat
und Monat verzögerte, da griff Thylmann in den
späten Abendstunden, die der Waffendienstfrei
ließ, wieder zu Stift und Schnitzmesser. Nun
entstanden Entwürfe und Holzschnitte von einer
Wucht und Größe, die schmerzlich empfinden
lassen, wieviel wir in Thylmann auch für monu-
mentale Kunst verloren haben (Abb. S. 204
und September-Heft 1917 S. 396).

Aus der Seele des Todgeweihten drängte
noch Anderes, nicht in Linien Faßbares herauf:
flammende Gesichte göttlichen Lebens, das
Höhen und Tiefen erfüllt. Ein Strom von My-
stik, genährt an den Schriften von Meister Ecke-
hart und Suso, von Angelus Silesius und Jacob
Böhme, brach hervor. Die Gedichte Thylmanns
sind nunmehr als Buch erschienen;*) sie zeugen
von einer dichterischen Gestaltungskraft, die
hinter der bildnerischen nicht weit zurückbleibt.
Daß der Gedanke die bildende Hand nie be-
lastet und die Reinheit der Kunst, auch da wo
sie an der Schwelle des Geistigen steht, nicht
getrübt hat, darf man jetzt besonders rühmen.

Im Sommer 1916 rückte er ins Feld. Die
erste Granate der Sommeschlacht, die bei sei-
nem Bataillon einschlug, hat ihn getroffen.

FRIEDRICH BACK.

*) Im Hans Sachs-Verlag, München. — Gulistan-Mappe und alle
graphischen Blätter, mit Ausnahme der illustrierten Bücher, bei
Frau Joanna Thylmann—Darmstadt, Herdweg. Vollständiges Ver-
zeichnis aller Arbeiten Thylmanns im Katalog der Gedächtnis-
Ausstellung des Kunstvereins in Darmstadt, Deiember 1916. —

XXI. Dezember 1917. 4
 
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