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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Jaumann, Anton: Der Verfall
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0311

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PROF. HEIN. JOBST—DARMSTADT.

»TREPPE AM GROSSEN SPRÜDEL«

DER VERFALL.

Eine untrügliche Prüfung für den wahren
inneren Gehalt eines Kunstwerkes ist sein
Verhalten in ruinösem Zustand, zwischen Trödel
und Schutt. Auf der Ausstellung wirkt manches,
das nur glatt und effektvoll aufgemacht ist, das
einen angenehmen Schmuck der Wand bildet
oder einen grellen Kontrast zur Umgebung.
Später, wenn Risse und Staub das Stück un-
ansehnlich machen, wenn keine Wand, kein
Rahmen es unterstützt, erweist sich erst so
recht, was eigentlich an ihm ist.

Wir waren im Atelier des kranken Bildhauers.
Da standen die mächtigen Kolosse, die er auf
den letzten Ausstellungen gezeigt hatte. Das
Pathetische, Hohle dieser Muskelparaden trat
schon recht fatal hervor. Aber in den verstaubten
Ecken und in Schutt aus Gips und Tonbrocken,
da entdeckten wir eins ums andere Stücke und
Reste von Stücken, die uns entzückten und
den körperlichen und geistigen Verfall unseres
Bekannten tragisch empfinden ließen. Da war
die Statuette eines Knaben, von Rissen und
Schrammen schon bedenklich entstellt — aber
welches vibrierende Leben war in dieser zarten

sehnigen Gestalt, eine Beseelung, die uns wie
etwas ganz Neues anmutete nach den aufgeregten
Stilexperimenten der letzten Zeit — und wir
erinnerten uns jetzt auch, daß uns selbst die
Statuette, als sie vor 15 Jahren zuerst ausgestellt
war, in ihrer Anspruchslosigkeit gar nicht auf-
gefallen war. Hier, zwischen Staub und Schutt,
offenbarte sie den angeborenen Adel.

Da lag eine Hand, so nervös durchgeistigt,
man hätte sie für die Hand des Rembrandt-
deutschen halten können. Teile von Köpfen,
hager.f ein, ohne jede „bedeutende" Aufmachung.
Wir hatten das alles früher in den Ausstel-
lungen, als eine Art Naturalismus etikettiert,
und waren achtlos weitergegangen. Hier sahen
wir, daß eine scheue, aber allertiefste Empfin-
dung darin steckte. . . .

Ich will keine zu weit gehenden Schlüsse aus
solchem Erlebnis ziehen. Soviel ist sicher, Schutt
und Staub sind gute Prüfsteine. Wenn ein Werk
im Verfall, ohne den blendenden Glanz der Ober-
fläche, ohne feierliche Umgebung, noch uns in
der Tiefe zu packen vermag, dann ist was dran,
dann hat es unverlierbaren Gehalt, a. jaumann.

XXI. Jan.-Febr. 1918. 7
 
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