Sehen lernen.
PROFESSOR DR. OSKAR STRNAD- WIEN.
»BLUMENGLASER« AUSF: J. U. L. LOBMEYR.
lieh sich selbst und seine Art gefunden hat, aus
dem Grunde nur abgelehnt wird, weil „ keine Ent-
wicklung mehr darin ist," was in dem Fall aber
doch nur heißen kann, daß einem ein Vorwurf
daraus gemacht wird, daß er in sich zur Klarheit
und zu einem geruhigen Auswirken in seiner Art
gekommen ist. Und ganz augenfällig ergibt sich
bei solcher Betrachtungsweise die Bevorzugung
aller der Produktionen, an denen irgendwie
Kunstgeschichte demonstriert werden kann. Sei
es nun, daß in dem Werk Gesten sind, die eine
Zuweisung zu einer der gerade geläufigen Schu-
len, Richtungen, Strömungen erlaubt oder auch
daß Anzeichen für irgendwelche Überwindung
solcher Stereotypen vorhanden wären. Was als
Äußerstes, gewissermaßen beim Rückblick auf
das weit verzweigte Schaffen einer Persönlich-
keit zu kommen hätte: die Einordnung in das
geschichtliche Geschehen, die Bilanz über das
Verhältnis von Typischem und Individuellem,
wird bei solcher Sehweise an den Anfang ge-
rückt, ist alleiniges Kriterium, macht, wie es
immer wieder zu beobachten ist, den Beschauer,
der sich wohl für einen besonderen Kenner
hält, blind gegen die Totalität einer künstle-
rischen Schöpfung. Die Kollektiv-Ausstellung
ist sehr viel mitschuld an dieser bedenklichen
Art des Sehens. Man sieht summarisch, das
heißt: zwölf auf einen Schlag, bestätigt sich, was
es Gemeinsames in solcher Folge gibt, sucht
allenfalls auch wieder nach der Entwicklung von
einem Bild zum anderen. Eine Betrachtungs-
weise also, die ganz darauf eingesetzt ist meh-
rere Werke in ihrer Relation zu sehen. Das ein-
zelne Werk — im wahrsten Sinne zum Dutzend-
werk entwürdigt — ist demgegenüber nur von
Belang, so weit es dieser Ästhetik entgegen-
kommt. Es ist aber zu begreifen, daß es in der
Kunst nichts Wichtigeres gibt als das einzelne
Werk, die einzelne Schöpfung eines Gestalters.
Ist es nicht ein grotesker Zustand? Für den
Künstler ist die Leinwand, an der er schafft,
ein endloses Ringen und Kämpfen und Quälen.
Jeder Fetzen ist voller Widerstand, den er
brechen muß. Da ist eine Stelle, da gibts ein
Gelingen, da gehts herrlich wie im Gleitflug
und dann wieder kommt eine Partie, die scheint
niemals werden zu wollen, die treibt ihn fast
zur Verzweiflung, da glaubt er immer und immer
wieder hinter seiner Idee zurückzubleiben.
Und in diesem Ausgären entklärt sich die Idee,
wie über sich hinausgetrieben gelangt der Schaf-
fende zu einer Lösung, die tief ist wie ein
Meer. Kunst sehen, Kunst erleben, heißt ein-
dringen in die Verborgenheiten, heißt alles er-
warten, alles suchen und alles finden in dem
PROFESSOR DR. OSKAR STRNAD- WIEN.
»BLUMENGLASER« AUSF: J. U. L. LOBMEYR.
lieh sich selbst und seine Art gefunden hat, aus
dem Grunde nur abgelehnt wird, weil „ keine Ent-
wicklung mehr darin ist," was in dem Fall aber
doch nur heißen kann, daß einem ein Vorwurf
daraus gemacht wird, daß er in sich zur Klarheit
und zu einem geruhigen Auswirken in seiner Art
gekommen ist. Und ganz augenfällig ergibt sich
bei solcher Betrachtungsweise die Bevorzugung
aller der Produktionen, an denen irgendwie
Kunstgeschichte demonstriert werden kann. Sei
es nun, daß in dem Werk Gesten sind, die eine
Zuweisung zu einer der gerade geläufigen Schu-
len, Richtungen, Strömungen erlaubt oder auch
daß Anzeichen für irgendwelche Überwindung
solcher Stereotypen vorhanden wären. Was als
Äußerstes, gewissermaßen beim Rückblick auf
das weit verzweigte Schaffen einer Persönlich-
keit zu kommen hätte: die Einordnung in das
geschichtliche Geschehen, die Bilanz über das
Verhältnis von Typischem und Individuellem,
wird bei solcher Sehweise an den Anfang ge-
rückt, ist alleiniges Kriterium, macht, wie es
immer wieder zu beobachten ist, den Beschauer,
der sich wohl für einen besonderen Kenner
hält, blind gegen die Totalität einer künstle-
rischen Schöpfung. Die Kollektiv-Ausstellung
ist sehr viel mitschuld an dieser bedenklichen
Art des Sehens. Man sieht summarisch, das
heißt: zwölf auf einen Schlag, bestätigt sich, was
es Gemeinsames in solcher Folge gibt, sucht
allenfalls auch wieder nach der Entwicklung von
einem Bild zum anderen. Eine Betrachtungs-
weise also, die ganz darauf eingesetzt ist meh-
rere Werke in ihrer Relation zu sehen. Das ein-
zelne Werk — im wahrsten Sinne zum Dutzend-
werk entwürdigt — ist demgegenüber nur von
Belang, so weit es dieser Ästhetik entgegen-
kommt. Es ist aber zu begreifen, daß es in der
Kunst nichts Wichtigeres gibt als das einzelne
Werk, die einzelne Schöpfung eines Gestalters.
Ist es nicht ein grotesker Zustand? Für den
Künstler ist die Leinwand, an der er schafft,
ein endloses Ringen und Kämpfen und Quälen.
Jeder Fetzen ist voller Widerstand, den er
brechen muß. Da ist eine Stelle, da gibts ein
Gelingen, da gehts herrlich wie im Gleitflug
und dann wieder kommt eine Partie, die scheint
niemals werden zu wollen, die treibt ihn fast
zur Verzweiflung, da glaubt er immer und immer
wieder hinter seiner Idee zurückzubleiben.
Und in diesem Ausgären entklärt sich die Idee,
wie über sich hinausgetrieben gelangt der Schaf-
fende zu einer Lösung, die tief ist wie ein
Meer. Kunst sehen, Kunst erleben, heißt ein-
dringen in die Verborgenheiten, heißt alles er-
warten, alles suchen und alles finden in dem