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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Heckel, Karl: Eigenart und Eigenheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0333

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Eigenart und Eigenheit.

— Wir gebrauchen heute die Bezeichnung „Ori-
ginalität" in kunstkritischen Ausführungen häu-
figer, als mir zulässig erscheint, weil wir sie in
unberechtigtem Sinne anwenden. Auch darüber
soll uns die Sprachpsychiologie aufklären. Ori-
ginalität ist die Eigenart, die wir von Natur
besitzen, die Ursprünglichkeit, die uns angeboren
ist. Man hat sie entweder, oder man hat sie
nicht. Originalität erwerben wollen, oder sie
von andern als erwerbbar fordern, verrät, daß
man weder sie selbst, noch das Verständnis für
ihre Bedeutung besitzt. Meist entspringt das
Hervorkehren von Eigentümlichkeiten dem Ver-
langen, sich von der Schule und der Konvention
frei zu machen, bei ehrgeizigen Naturen, die sie
gern zur Schau tragen, wohl auch der Sucht,
sich auf wohlfeile Weise hervorzutun. Das
meiste, das wir als originell rühmen hören,
zeichnet sich nicht durch die Offenbarung seiner
Eigenart aus, sondern kennzeichnet sich durch
die Betonung von Eigenheiten.

Der persönliche Stil eines Werkes entspringt
der ursprünglichen Eigenart seines Verfassers
oder Bildners. Le style c'est l'homme. Die per-
sönliche Manier — „wie er räuspert und wie er
spuckt" — dagegen beruht auf mehr oder minder
gewollten Eigenheiten. Gewiß können allerlei
Eigenheiten auch in der Natur des Autors wur-
zeln, aber dann werden sie nur als Begleit-
erscheinungen mitlaufen und höchstens als
nebensächliche Sonderlichkeiten auffallen. —

Wer seine Sinne schärft, Eigenart und Eigen-
heiten zu unterscheiden, läuft seltener Gefahr
die willkürliche Grimasse mit der Physiognomie,
diesem Spiegel des inneren Wesens, zu ver-
wechseln. Und eben das ist es, was uns heute
bei der Fülle des Gebotenen not tut, wenn wir
in dem Neuen, das leider so selten frei von Pose
und Phrase auftritt, das Unechte vom Echten
sichten wollen. Eigenheiten können ebensowohl
bewußt als unbewußt einem Menschen anhaften.
Bei ihrer absichtlichen Hervorkehrung werden
wir meist mit Recht auf die Schwäche einer
Eitelkeit schließen, bei ihrer allzu besorgten
Verdrängung auf den Mangel an Mut, sich in
seiner Natürlichkeit zuzeigen. In jedem Falle aber
werden wir gut tun, sie nicht zu hoch einzu-
schätzen. Denn auch dort, wo wir sie nicht als
zufällig, sondern als zur Eigenart zugehörig beur-
teilen, können wir von ihrem Wachstum keine
Förderung und Steigerung des inneren Wesens
erwarten. Diese Steigerung kann sich immer
nur der Entwicklung derjenigen Eigenschaften
verdanken, die unsere Eigenart ausmachen.

Und nun dürfen wir mit dem Zitat aus Goethe
schließen, auf das ich vorhin abzielte. In ihm
finden wir die Mahnung, die unsere Ausführungen
ergeben, mit der Goethe als Denker und Dichter
eigentümlichen Prägnanz und Anschaulichkeit
zusammengefaßt:

„Eigenheiten die werden schon haften.

Kultiviere deine Eigenschaften!" karl hkckkl.
 
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