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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Jaumann, Anton: Das Zweite Gesicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0335

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Das zweite Gesicht.

und liebst du die Rose und auch das
Schlittschuhlaufen und jede einzelne
Erscheinung. Das erst macht sie reich,
voll, kostbar. — Der Weg ist eine
Schlange, die mich verführt, ein
Schwert, das Äcker und Dörfer zer-
schneidet, eine Kette, die Städte und
Länder verbindet. Die Hunderte von
Geschlechtern sehe ich im Geiste, die
der Weg getragen und geführt hat. Ich
sehe alles Leid und Lust, die er vermit-
telt hat. In meinem Tisch sehe ich den
treuen Diener, den Bruder aller der
Tische, die andern, Fürsten und Ar-
beitern, stumm ihre Pflicht tun, ich
sehe die Ahnen des Tisches mit, die
den längst verstorbenen Geschlech-
tern ebenso gedient. Der Berg ist ein
Wundmal der Erde, ein trotziges Auf-
trumpfen ihrer dumpfen Riesenkräfte.
Sehe ich Berge, sehe ich alles Him-
melanstreben, alles trotzige Aufbäu-
men und wunde Verzichten der
Menschheit mit. — „Bäume im Früh-
ling" nennt der Maler ein Bild. Du
suchst vielleicht vergeblich jene bota-
nischen Wesen. Nur ein Lohen ist da,
glühende Strahlen wachsen gleich Ra-
keten in die Luft, in der Ferne scheint
die Erde selbst zu brennen. Was hat
der Maler dargestellt? Jenes zweite
Bild, das er neben und in den Bäumen
schaute: Die Sonnensehnsucht und
Liebesglut der Erde, die sich entlädt
in den blühenden Bäumen. Wenn er
Häuser malt wie aufgetürmtes Elend
oder gleißenden Stolz, Menschen, die
nichts sind als eine Geste von Würde
oder Verkommenheit, wird ihn keiner
verstehen außer jenen wenigen, die
auch mit dem „zweiten Gesicht" be-
gnadet sind. — Es wird immer Zeiten
geben, denen eine Ernüchterung not-
tut, eine Rückkehr aus dem Reich
Phantasien ins Reale, die genau sein
müssen in ihren Bildern und wahr.
Heute, imZeitalter der Maschinen und
der exakten Forschung, triumphiert
in der Kunst die „Entnüchterung";
die Ideen, Wünsche, Leidenschaften,
die hinter und neben den Dingen ste-
hen, verdrängen das Bild, das nichts
ist als Spiegel, Abklatsch, Wahrheit.
Das exakte Sehen hat ausgespielt,
das zweite Gesicht ist an der Reihe,
das weiter sieht und mehr und unser
Weltbild so unendlich bereichert, a.j.

RUDOLF ,
BfeAUN

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