PROF. MAX
PECHSTEIN.
»SELBST-
BILDNIS«
VERERBT SICH KÜNSTLERISCHE BEGABUNG?
VON WILLI WOLFRADT
Ist die Frage einmal aufgeworfen, so fallen
einem sofort Künstlernamen in großer Zahl
ein, die zugleich des Vaters und des Sohnes
Ruhm vermelden, — ganz zu schweigen von
weitläufigerer Verwandtschaft und allgemeinem
Familientalent durch Generationen hindurch, für
das es an Beispielen nicht fehlt. Hans Holbein,
der Vater, und Hans Holbein, der Sohn be-
haupten nacheinander in ihrer Zeit den höchsten
Rang, ähnlich liegt es bei Fra Filippo Lippi und
seinem exaltierten Sohn Filippino, bei Pieter
Bruegel, dem Bauernbruegel, und seinem Sohne
Jan, dem sogenannten Sammetbruegel. Jenes
redlichen Giovanni Santi erinnert man sich, der
des großen Raffael Vater war, dann der Pisani,
der Robbias, der Söhne Lukas Cranachs. Jacopo
Bellini, der Begründer einer spezifisch venezia-
nischen Malerei, fand durch zwei Söhne sein
Werk fortgesetzt: durch den zarten Gentile und
den herben, mächtigeren Giovanni. Großvater,
Vater und Sohn haben den Namen van de Velde
in der Geschichte der holländischen Malerei be-
ständig gemacht. Die Fälle wären unschwer zu
häufen, besonders aus dem Mittelalter (hier
etwa die Familie Gaddi, das Baumeisterge-
schlecht der Parier), doch auch bis in unsere
Tage hinein.
Danach könnte nun die Erblichkeit des
künstlerischen Talents und sogar des Genies
durchaus plausibel erscheinen. Doch schon die
auffällig geringere Zahl von Beispielen aus
musikalischem und literarischem Nachbargebiet
muß stutzig machen. Es mag sich den bekannten
Fällen Bach, Johann Strauß, Wagner oder
Dumas und Mann sicherlich noch mancher wei-
tere zureihen lassen, — sie bleiben Ausnahme-
erscheinungen, bei denen überdies beachtet
werden muß, wie ungleichwertig die schöpfer-
ische Kraft fortwirkt. Sträubt sich nun etwa
die besondere musikalische Begabung im Gegen-
satz zur leichter vererbbaren bildnerischen,
übertragen zu werden? Begründet sich das
XXX. April 1827. S
PECHSTEIN.
»SELBST-
BILDNIS«
VERERBT SICH KÜNSTLERISCHE BEGABUNG?
VON WILLI WOLFRADT
Ist die Frage einmal aufgeworfen, so fallen
einem sofort Künstlernamen in großer Zahl
ein, die zugleich des Vaters und des Sohnes
Ruhm vermelden, — ganz zu schweigen von
weitläufigerer Verwandtschaft und allgemeinem
Familientalent durch Generationen hindurch, für
das es an Beispielen nicht fehlt. Hans Holbein,
der Vater, und Hans Holbein, der Sohn be-
haupten nacheinander in ihrer Zeit den höchsten
Rang, ähnlich liegt es bei Fra Filippo Lippi und
seinem exaltierten Sohn Filippino, bei Pieter
Bruegel, dem Bauernbruegel, und seinem Sohne
Jan, dem sogenannten Sammetbruegel. Jenes
redlichen Giovanni Santi erinnert man sich, der
des großen Raffael Vater war, dann der Pisani,
der Robbias, der Söhne Lukas Cranachs. Jacopo
Bellini, der Begründer einer spezifisch venezia-
nischen Malerei, fand durch zwei Söhne sein
Werk fortgesetzt: durch den zarten Gentile und
den herben, mächtigeren Giovanni. Großvater,
Vater und Sohn haben den Namen van de Velde
in der Geschichte der holländischen Malerei be-
ständig gemacht. Die Fälle wären unschwer zu
häufen, besonders aus dem Mittelalter (hier
etwa die Familie Gaddi, das Baumeisterge-
schlecht der Parier), doch auch bis in unsere
Tage hinein.
Danach könnte nun die Erblichkeit des
künstlerischen Talents und sogar des Genies
durchaus plausibel erscheinen. Doch schon die
auffällig geringere Zahl von Beispielen aus
musikalischem und literarischem Nachbargebiet
muß stutzig machen. Es mag sich den bekannten
Fällen Bach, Johann Strauß, Wagner oder
Dumas und Mann sicherlich noch mancher wei-
tere zureihen lassen, — sie bleiben Ausnahme-
erscheinungen, bei denen überdies beachtet
werden muß, wie ungleichwertig die schöpfer-
ische Kraft fortwirkt. Sträubt sich nun etwa
die besondere musikalische Begabung im Gegen-
satz zur leichter vererbbaren bildnerischen,
übertragen zu werden? Begründet sich das
XXX. April 1827. S