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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

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O. L.: Die Lebensfrage der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0396

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MALER ERNST HUBER—WIEN

»NIEDEROSTERR. LANDSCHAFT«

DIE LEBENSFRAGE DER KUNST

Wie lautet die Lebensfrage der Kunst? Oder
besser: Wie lautet die Antwort auf die
Lebensfrage der Kunst? Sie lautet genau so,
wie die Lebensfrage beim Einzelmenschen lau-
tet: Erfülle dein Schicksal! Und das gilt für
den Künstler so gut wie für den Kunstfreund.
Was heißt das?

Es heißt zunächst: Erfülle dein Schicksal.
Fliehe nicht vor deinen Lebensbedingungen,
auch nicht vor den Mängeln deiner Lage, son-
dern lebe sie entschlossen durch. Da erfüllt
seit Jahrzehnten eine tolle Vielheit von Kunst-
meinungen mit Lärm unser Ohr. Warum auch
nicht? Es steht uns ja alles offen, was die
menschliche Kunst je und je geleistet hat. Jahr-
hundert um Jahrhundert erschließt sich unserem
Blick; so können wir mit Hilfe historischen
Materials jede beliebige Kunstmeinung stützen
und beweisen. Aber kommt es darauf an?
Haben alle die tausend Kunstmöglichkeiten, die
die Menschheit schon durchlebt hat, für uns

irgend einen Wert? Nein; denn auf das Er-
fassen der konkreten Augenblickslage
kommt es an. Es kommt geradezu darauf an,
über die Vielheit der Möglichkeiten hinaus zur
Einmaligkeit des jetzt und hier gebotenen
Handelns zu gelangen. „Jetzt" und „Hier" —
das sind die beiden großenZauber-undSchlüssel-
worte der Geschichte; auch der Kunstgeschichte.
Kunstschaffen ist jedesmal Tat, nicht Meinung
oder Betrachtung; Tat aus den Erfordernissen
des Augenblicks, Tat, die den bloß Betrachten-
den fast immer verletzt, die der Tradition fast
immer wehetut und selbst die Logik kränkt —
und die gerade dadurch beweist, daß sie eine
Notwendigkeit und die richtige Entsprechung
zur gegenwärtigen Weltstunde ist. Es gibt nichts
Demütigenderes für unser stolzes Verstandes-
urteil, als die Tatsache, daß fast jede neue
Kunstwahrheit in ihren Anfängen einem Un-
sinn täuschend ähnlich sah. Es war immer leicht,
sie mit guten Gründen zu widerlegen; aber
 
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