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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

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Musper, Heinrich Th.: Ein Stuttgarter Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0177

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EIN STUTTGARTER MALER

Merkwürdig: die so oft prophezeite Nivellie-
rung oder Monotonisierung der modernen
Kultur ist noch nicht Tatsache geworden. Im
Gegenteil, man hat den Eindruck, daß in der
neueren Malerei die Sondercharaktere wieder
deutlicher zu Wort kommen, als dies manchmal
früher der Fall war. Noch immer ist es von der
größten Bedeutung, in welchem Milieu, in wel-
cher Landschaft, unter welchen bestimmenden
geistigen Faktoren ein Künstler aufwächst. Der
Dialekt hat sich in der Kunst ebensogut ge-
halten wie in der Sprache; auch in der jüngsten
Malerei scheiden sich die Volksstämme, die
Schwaben von Alemannen und Bayern.

Noch immer gibt es Zentren geistigen Lebens,
die grundsätzlich einen bestimmten Habitus be-
wahren, wenn ihre Physiognomie auch durch
einen Einschlag jeweiliger Gegenwart modifiziert
werden kann. Die Bewohner der schwäbischen
Landeshauptstadt sind von Haus aus im allge-
meinen mehr der Musik, der Literatur, also den
unsinnlichen Künsten zugetan, allein das aus
der Grundanlage resultierende einmalige und

besondere geistige Fluidum kann doch manch-
mal auch sichtbare Gestalt annehmen. Und dann
entstehen innerhalb der schwarz-roten Grenz-
pfähle oft noch recht charakteristische und
originelle Dinge. Ihre innere Wahrheit und Echt-
heit gibt ihnen auch einen Wert jenseits der
großen Heerstraße des lauten Erfolges.

Der Maler Leonhardt Schmidt, der 1892 in
Backnang geboren wurde, und den die drei Ab-
bildungen illustrieren mögen, teilt das typische
Künstlerschicksal unserer Zeit. Früh zeigt sich
der Trieb zur Kunst. Man steckt den Jungen
zu einem Malermeister in die Werkstatt. Die
Folge ist eine endlose Leere und Oede. Er
wird so angespannt, daß er nicht die Zeit findet,
auch nur gelegentlich zu Stift oder Pinsel zu
greifen. Alle Sehnsüchte bleiben unerfüllt und
er wird 25 Jahre alt, bis sich für ihn die Mög-
lichkeit ergibt, sich wirklich im Bilde auszu-
sprechen. So scheu war er. Und da zeigte sich
sogleich das Erstaunliche: Schmidt konnte im
Grunde alles schon, d. h. bei ihm kam es gar
nicht auf das an, was man .gewöhnlich das

XXX. Juni 1937. 4
 
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