Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Die Kunst und die Machthaber
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0271

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
PROFESSOR KURT RAIITKE

PORZELLAN PLASTIK »BARSOI«

DIE KUNST UND DIE MACHTHABER

VON WILHELM MICHEL

A ls die französische Revolution sich auf dem
X\. Gipfel ihrer Macht fühlte, dekretierte
sie, daß die Kunst nur insoweit Daseinsbe-
rechtigung habe, als sie vaterländische Tugend
verherrliche, die Menschen zur Begeisterung
für die Freiheit und für die Tat entflamme.
Nicht lange darauf wurde dieselbe Kunst von
Napoleon in Dienst genommen und zur Ver-
herrlichung des Kaiserreiches ausersehen. Das
neunzehnte Jahrhundert hat dann noch eine
ganze Reihe von Versuchen erlebt, die Kunst
den Machthabern oder denen, die es werden
wollten, dienstpflichtig zu machen. Bekannt
sind in dieser Hinsicht die Versuche Wilhelms II,
bekannt auch die Einstellung des revolutionären
Sozialismus, der lange Zeit hindurch die These
vertrat, daß die Kunst der Zeit eine »Bourgois-
Kunst« sei und nur durch den Dienst am sozia-
listischen Gedanken wieder gesunden könne.
Neuerdings ist der russische Bolschewismus in
die Reihe der Machthaber eingetreten, die die
Kunst nur als Propagandamittel ihrer Ideen,
d. h. ihrer Macht gelten lassen wollen. Nicht
in direktem Zusamenhange damit, wohl aber
im Zusammenhang mit der ganzen materielle-
ren Wendung des Zeitgeistes ist die Frage
der „Gesinnungskunst", der „Tendenzkunst"

auch für Deutschland, wenigstens in gewissen
Kreisen, aktuell geworden. So wird die Frage
des „Gesinnungstheaters" leidenschaftlich um-
kämpft; in Bezug auf die bildende Kunst hat man
an die kulturkritische Malerei eines Otto Dix,
eines George Grosz zu denken und an jene Ge-
dankengänge, die etwa ein Adolf Behne vertritt.
Hier handelt es sich zwar nicht um die Indienst-
nahme der Kunst zugunsten bestimmter Macht-
haber, wohl aber um eine Art Vorbereitung da-
zu ; um die Verpflichtung der Kunst auf außer-
künstlerische, dogmatische, meinungsmäßige In-
halte und Tendenzen.

Zugunsten dieser Auffassung, die ja auch die
Auffassung vieler Machthaber war, läßt sich
anführen, daß die Kunst immer mit ihrer Zeit
gelebtundderenbeherrschende Ideendargestellt
hat. Nie konnte und kann die Kunst in dem
Sinne „frei" sein, daß sie im luftleeren und ge-
staltenlosen Räume lebt und nicht innig ergriffen
ist von den Mächten, die ihre Umwelt prägen.
Die Kunst ist sogar der feinste und früheste
Ausdruck dieser Mächte. Nur von ihnen lebt
sie, ihren Verschiebungen folgt sie unbedingt,
und diese Unterwerfung unter die Ideen und
Geistesmächte der Zeilen ist der Grund dafür,
daß die Kunst sich als geschichtliches,

XXX. Juli 1927. 7
 
Annotationen