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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

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Stahl, Fritz: Kunst und Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0042

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GEORG SCHRIMPF—MÜNCHEN

AQUARELL »IN DER SCHWEMME«

KUNST UND LEBEN

Die Loslösung der Kunst vom Leben ist all-
mählich geschehen. Zuerst wurde sie in
den Dienst des Luxus gestellt; dann wurde sie
ein Teil der Bildung, Gegenstand einer beson-
deren Kennerschaft. Die Geweihten gefielen sich
darin, sie als ihre vorbehaltene Domäne hinzu-
stellen, und die andern glaubten ihnen das, weil
es erstens bequem war, und weil sie auch das
immer anwachsende, immer verwirrter wer-
dende Kunstgerede nicht verstanden.

In den letzten Jahrzehnten ist hier eine Wand-
lung eingetreten. Es sind Kunstmenschen auf-
getreten, die von diesem Privileg nichts wissen
wollen, die wissen, daß Bildung weder Kunst
schafft, noch Kunst aufnimmt, daß das Kunst-
werk aus Seele und Sinnen geboren wird und
zu jedem spricht, der Seele und Sinne hat, die
nicht dulden wollen, daß der Großteil des Volkes
auch fernerhin an dem herrlichen Menschheits-
besitz keinen Anteil hat.

Es ist durchaus jedermann möglich, Kunst
zu fühlen. (Der beliebte Ausdruck, „zu ver-
stehen", ist falsch und irreführend.) Das be-
deutet natürlich keine Gleichheit aller. Es wird
immer dieselbe Beschränkung und Unterschiede
geben wie in dem Verhältnis der Menschen zur

wirklichen Welt. Es gibt Trägheit der Seele
und Stumpfheit der Sinne, die kein Eindruck
überwinden kann, es gibt unendlich viele Ab-
stufungen der Wachheit und der Bereitschaft
und der seelisch-sinnlichen Kräfte selbst. Es
gibt leider auch soziale Zustände, die diese
natürlichen Kräfte absterben lassen. Aber
alle Arten der Unempfänglichkeit sind viel sel-
tener, als man glaubt.

Der Irrtum der Bewegung liegt in der Art, wie
man vielfach den Weg zur Kunst weist. Man
kann überhaupt nicht viel bringen. Den Weg
zur Kunst muß am Ende jeder allein gehen. Es
hilft nur eigenes Anschauen, dessen Verfeine-
rung und Veredelung die großen Werte der
Kunst dann ohne Vermittlung eines Lehrers
besorgen. — Aber steht es denn mit andern
Dingen anders? Hat nicht die Herstellung ge-
bildeter Menschen durch Eintrichterung fremder
Resultate offensichtlich Bankerott gemacht?

FRITZ STAHL »WEG ZUR KUNST«. VERLAG RUDOLF MOSSE.


Man muß den Mut haben, in der Kunst
zu lieben, was uns wirklich zusagt, und
es sich eingestehen. So kann man vorwärts-
kommen.................. NIETZSCHE.
 
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