ERNST HÄRTUNG—ZÜRICH
»WOHN- UND ESSZIMMERc
DAS NEUE HEIM
Dem vorwiegenden Bedarf der heutigen Zeit
Rechnung tragend, hat Alfred Altherr, der
Direktor des Kunstgewerbemuseums der Stadt
Zürich, eine Ausstellung veranstaltet, die ganz
auf die Kleinwohnung eingestellt ist. Sie um-
faßt eine solche von vier Zimmern, von drei
und von zwei Zimmern, sowie eine Einzim-
merwohnung, vier Einzelzimmer und einige
Einzelmöbel. Die ausgestellten Arbeiten zeigen
durchweg ein bemerkenswert hohes Niveau; ein
Teil ist in Form und Anordnung als schlechthin
mustergültig zu bezeichnen. Die Modernität der
ausgestellten Räume beruht vor allem auf dem
Verzicht auf jede Repräsentation durch Monu-
mentalität. Im herkömmlichen bürgerlichen
Wohnzimmer steht der große Tisch schön in der
Mitte; am dunklen Wandstreifen zwischen den
Fenstern steht ein Konsoltischchen, darüber
hängt der Spiegel. An der gegenüberliegenden
Wand steht das große Sofa, darüber hängen
ein großes und zwei kleine Bilder, kurz, alle
Möblierung richtet sich viel mehr nach den
Wänden als dem Bedürfnis der Bewohner; sie
strebt nach feierlicher Symmetrie. Jedes Möbel
hat seinen ganz bestimmten Platz, auf den es
unverrückbar festgebannt ist, ein Abweichen
von der Symmetrie ist Insubordination, fast
schon Unordnung. Diese „klassische" Art der
Möblierung hat gewiß etwas sehr Eindrucks-
volles, aber sie macht den Raum starr, feierlich.
Sie hat denn auch ihren Ausgang von Thron-
sälen und sonstigen Repräsentationsräumen
genommen, und ist dort auch am Platz. Für
bürgerliche Wohnräume aber wirkt sie unbe-
weglich, museumshaft. Diese Räume sind in
ihrer abstrakten Ordnung so vollkommen, so
sehr mit sich selbst im Reinen, daß der Be-
wohner als Eindringling und Element der Un-
ordnung erscheint. Ist diese repräsentative Ton-
art erst einmal angeschlagen, führt sie zu immer
weiteren Komplikationen, zu Verschönerungen,
nach denen niemand ein Bedürfnis hat, die sich
aber durch einen leeren Fleck an der Wand
von selbst ergeben. So entstehen jene Ein-
richtungen, denen die Hausfrau wie einem
heiligen Gegenstand Sklavendienste opfert, ohne
daß sie lebendige Werte dafür eintauscht.
— Wer gerade die besten der ausgestellten
April 1927. 7
»WOHN- UND ESSZIMMERc
DAS NEUE HEIM
Dem vorwiegenden Bedarf der heutigen Zeit
Rechnung tragend, hat Alfred Altherr, der
Direktor des Kunstgewerbemuseums der Stadt
Zürich, eine Ausstellung veranstaltet, die ganz
auf die Kleinwohnung eingestellt ist. Sie um-
faßt eine solche von vier Zimmern, von drei
und von zwei Zimmern, sowie eine Einzim-
merwohnung, vier Einzelzimmer und einige
Einzelmöbel. Die ausgestellten Arbeiten zeigen
durchweg ein bemerkenswert hohes Niveau; ein
Teil ist in Form und Anordnung als schlechthin
mustergültig zu bezeichnen. Die Modernität der
ausgestellten Räume beruht vor allem auf dem
Verzicht auf jede Repräsentation durch Monu-
mentalität. Im herkömmlichen bürgerlichen
Wohnzimmer steht der große Tisch schön in der
Mitte; am dunklen Wandstreifen zwischen den
Fenstern steht ein Konsoltischchen, darüber
hängt der Spiegel. An der gegenüberliegenden
Wand steht das große Sofa, darüber hängen
ein großes und zwei kleine Bilder, kurz, alle
Möblierung richtet sich viel mehr nach den
Wänden als dem Bedürfnis der Bewohner; sie
strebt nach feierlicher Symmetrie. Jedes Möbel
hat seinen ganz bestimmten Platz, auf den es
unverrückbar festgebannt ist, ein Abweichen
von der Symmetrie ist Insubordination, fast
schon Unordnung. Diese „klassische" Art der
Möblierung hat gewiß etwas sehr Eindrucks-
volles, aber sie macht den Raum starr, feierlich.
Sie hat denn auch ihren Ausgang von Thron-
sälen und sonstigen Repräsentationsräumen
genommen, und ist dort auch am Platz. Für
bürgerliche Wohnräume aber wirkt sie unbe-
weglich, museumshaft. Diese Räume sind in
ihrer abstrakten Ordnung so vollkommen, so
sehr mit sich selbst im Reinen, daß der Be-
wohner als Eindringling und Element der Un-
ordnung erscheint. Ist diese repräsentative Ton-
art erst einmal angeschlagen, führt sie zu immer
weiteren Komplikationen, zu Verschönerungen,
nach denen niemand ein Bedürfnis hat, die sich
aber durch einen leeren Fleck an der Wand
von selbst ergeben. So entstehen jene Ein-
richtungen, denen die Hausfrau wie einem
heiligen Gegenstand Sklavendienste opfert, ohne
daß sie lebendige Werte dafür eintauscht.
— Wer gerade die besten der ausgestellten
April 1927. 7