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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

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Pfister, Kurt: Der Maler Utrillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0079

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MAURICE UTRILLO

»KIRCHE ST. BERN ARD«

DER MALER UTRILLO

VON KURT PFISTER

Der heute dreiundvierzigjährige Maler Mau-
rice Utrillo zählt unter die Wenigen, die
unberührt von den Programmen der Ateliers
und Künstlercafes, unbekümmert um die Tages-
berichte und Pronunciamentos der Maler und
Literaten ihren Weg gingen, treu dem Gesetz,
nach dem sie angetreten, nicht in romantisch
unfruchtbarer Abkehr von der Zeit, aber jen-
seits ihrer launischen Moden und Schlagworte.
Damals, als er zu malen begann, um 1903,
herrschten in Frankreich und bei uns die Nach-
folger und Söhne der großen Impressionisten,
geschmackvolle und ein wenig kräftlose Dia-
dochen, die gefällige Tafeln malten, in denen
das handwerkliche Gerüst, aber nicht mehr die
schöpferische Substanz der Großmeister des Im-
pressionismus sichtbar wurde. Andere vergeu-
deten die Hinterlassenschaft des alten Cezanne,
indem sie sich auf seine theoretischen Formeln,
die für ihn selbst nur Mittel zur Realisation
waren, nicht aber mit der Schöpfung selbst
identisch, als Vorwand und Legitimation ihrer
dekorativen Konstruktionen beriefen.

Wenige sind übrig geblieben und Utrillo zählt
zu ihnen, Und dabei ist es nicht so, als ob sein

Werk abseits von der Zeit geschähe. Ihre Kraft-
ströme, ihre geistigen und formalen Ideen und
Energien sind mit seiner Arbeit organisch ver-
wachsen, sie bleiben nicht gedankliches Gerüst
und begriffliche Etikette; sie sind Atmosphäre,
die den Raum hinter den Mauern lebendig
durchweht, Blut, das unter der Epidermis flutet.
So ist es schon in seinen malerischen Anfängen,
die dem Impressionismus benachbart sind,
da Monet und Sisley ihn vielfach anregten.
Die Probleme von Luft und Licht, die Auf-
lösung der Sichtbarkeit im farbigen Spektrum:
Das Bild scheint realisiert im Sinne der im-
pressionistischen Lehre und identisch mit ihr;
und doch ist auch hier schon ein Mehr da: In
der stärker gefügten Stabilität des konstruk-
tiven Gerüstes, in den vehementer gesetzten
farbigen Akzenten. In den folgenden Jahren,
etwa zwischen 1910 und 1914, die die Samm-
ler als periode blanche und vielfach als
stärkste Schaffenszeit Utrillos bezeichnen —
man schätzt die Zahl der in diesen Jahren ge-
malten Bilder auf zweihundert — vollzieht sich
die Loslösung vom Impressionismus. Unver-
bunden durch Atmosphäre stehen die Häuser

XXX, Mai 1927, 1
 
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