LASAR
SEGALL
»STILL-
LEBEN«
LASAR SEGALL
Die Kunst und die Entwicklung Lasar Se-
galls ist in der Allgemeinheit nicht in
dem Umfang bekannt, wie sie es eigentlich ihrer
Eigenart nach sein müßte. Obwohl der am
8. Juli 1889 in Wilna geborene Künstler schon
seit etwa 1908 tätig ist, — er war 1905 nach
Berlin gekommen, lebte anschließend einige
Jahre in Dresden und begann 1912 ein Wander-
leben, das ihn besonders nach Holland und
Brasilien, ferner nach Paris und neuerdings
wieder nach Brasilien führte, — sah man ihn
sehr selten in Ausstellungen oder in der Öffent-
lichkeit. Meist gingen die Gemälde in Privat-
besitz über, aber auch einige Galerien, u. a.
die Kunsthütte in Chemnitz, die städtischen
Sammlungen in Dresden und das Folkwang-
Museum in Essen erwarben Werke dieses sich
immer zurückhaltenden Malers, der seit 1923
in Brasilien lebte.
Erst in vorigem Jahr erhielt man einen um-
fangreichen Überblick über das bisherige Werk
Segalls, als die Galerie Neumann-Nierendorf in
Berlin ihm eine Ausstellung widmete. Man
fand dabei die künstlerische Wirksamkeit eines
Malers vor, der innerhalb der ausgeprägten
Entwicklungslinie seiner Anschauungsform eine
immanente Grundauffassung beibehielt und der
neben dem überwiegend bekannten Marc Cha-
gall und vielleicht neben dem eigenwilligen
Sondergänger S. Ryback einen besonderen
Typus in der malkünstlerischen Erfassung
russisch-ostjüdischen Seelenlebens darstellte.
Besonders auffallend ist in den frühen Wer-
ken die Verwendung ausgesprochen kubistischer
Elemente, ohne daß er dabei den Zusammen-
hang mit einer gewissen, melancholisch-pessi-
mistisch zu bezeichnenden Daseinsbetrachtung
zugunsten einer rein formalen Sprache aufgibt.
Das große Vorbild Picasso ist auch in diesen
Werken unverkennbar, aber das, worauf es
Lasar Segall ankommt, wirkt sich im geradezu
organisch zu nennenden Zusammhang mit der
strengen und auf einfachste Kontrastierungen
gestellten Formalität zu einer mächtigen Stim-
mungsfülle aus. Nicht wie bei Chagall sieht man
einen ungebundenen Ausdruck phantastischen
XXX. Mai 1927. 3
SEGALL
»STILL-
LEBEN«
LASAR SEGALL
Die Kunst und die Entwicklung Lasar Se-
galls ist in der Allgemeinheit nicht in
dem Umfang bekannt, wie sie es eigentlich ihrer
Eigenart nach sein müßte. Obwohl der am
8. Juli 1889 in Wilna geborene Künstler schon
seit etwa 1908 tätig ist, — er war 1905 nach
Berlin gekommen, lebte anschließend einige
Jahre in Dresden und begann 1912 ein Wander-
leben, das ihn besonders nach Holland und
Brasilien, ferner nach Paris und neuerdings
wieder nach Brasilien führte, — sah man ihn
sehr selten in Ausstellungen oder in der Öffent-
lichkeit. Meist gingen die Gemälde in Privat-
besitz über, aber auch einige Galerien, u. a.
die Kunsthütte in Chemnitz, die städtischen
Sammlungen in Dresden und das Folkwang-
Museum in Essen erwarben Werke dieses sich
immer zurückhaltenden Malers, der seit 1923
in Brasilien lebte.
Erst in vorigem Jahr erhielt man einen um-
fangreichen Überblick über das bisherige Werk
Segalls, als die Galerie Neumann-Nierendorf in
Berlin ihm eine Ausstellung widmete. Man
fand dabei die künstlerische Wirksamkeit eines
Malers vor, der innerhalb der ausgeprägten
Entwicklungslinie seiner Anschauungsform eine
immanente Grundauffassung beibehielt und der
neben dem überwiegend bekannten Marc Cha-
gall und vielleicht neben dem eigenwilligen
Sondergänger S. Ryback einen besonderen
Typus in der malkünstlerischen Erfassung
russisch-ostjüdischen Seelenlebens darstellte.
Besonders auffallend ist in den frühen Wer-
ken die Verwendung ausgesprochen kubistischer
Elemente, ohne daß er dabei den Zusammen-
hang mit einer gewissen, melancholisch-pessi-
mistisch zu bezeichnenden Daseinsbetrachtung
zugunsten einer rein formalen Sprache aufgibt.
Das große Vorbild Picasso ist auch in diesen
Werken unverkennbar, aber das, worauf es
Lasar Segall ankommt, wirkt sich im geradezu
organisch zu nennenden Zusammhang mit der
strengen und auf einfachste Kontrastierungen
gestellten Formalität zu einer mächtigen Stim-
mungsfülle aus. Nicht wie bei Chagall sieht man
einen ungebundenen Ausdruck phantastischen
XXX. Mai 1927. 3