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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

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R., K. H.: Überwindung der Psychologie
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https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0112

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Überwindung der Psychologie

Der Psychologismus in derbildenden Kunst
stellte auf seiner Höhe einen Sonderfall des
Expressionismus dar. Vorher gab es ihn, nicht
als den Antrieb, sondern als die Folge seines
genialen, dämonischen Tiefblicks, nur einmal,
bei van Gogh. Es war wieder, gleich dem
Strauß der „Elektra", gleich dem Dichter der
„Suche nach der verlorenen Zeit" der Sonder-
fall, die Bestätigung eines gewaltigen Wagnisses
durch die Macht des persönlichen Genies. Im
Grunde hat dieser Psychologismus nur den Bo-
den eines schmalen Gipfels unter sich, der für
andere, vielleicht ebenso Wagemutige, aber
minder Sichere, nicht betretbar ist. Der ex-
pressionistische Psychologismus aber, wie er
von Kokoschka inauguriert wurde, nahm den
Raum einer Bewegung ein; er begegnete sich
mit der expressionistischen Generaltheorie der
subjektiven Umschreibung und Zertrümmerung
der Form, in der ein
„seelenkündendes" Ele-
ment schon enthalten
war, in besonderem
Maße. Gleichzeitig aber
trieb er, was zur ent-
wicklungsgeschichtlichen
Klärung der Kunstwand-
lung der letzten Jahre
nicht übersehen werden
sollte, die Kräfte zu
seiner eigenen Überwin-
dung aus sich selbst
heraus. Die psychologi-
schen Maler waren von
einer fanatischen Ob-
jektivität besessen; ich
nenne diese Objektivität
„fanatisch", weil sie in
ihrem wilden Bekenner-
drang das Modell ver-
gewaltigte. Die Porträt-
lithographien Kokosch-
kas z. B., besonders die
sehrbekannte derSchau-
spielerin Maria Orska,
zerfetzen die Form der-
artig mit Psychologie,
daß aus dem konkreten,
definierbaren Gebild,
das Träger des psycho-
logischen Ausdrucks
sein soll, nur noch ein
abstrakt dynamisches
Liniengefüge wird. Die
ins Psychologische trans-
ponierte Objektivität
zerstört vollkommen die

edgar degas. »frauenkopf«
5LO. OPPENHEIM. BERLIN U. SLO. FLKCHTIIEIM, DÜSSliLDOK

Objektivität des Visuellen; die wahre Darstel-
lung des inwendigen Menschen erschlug jede
wirkliche Darstellung des „Außen".

Die gegenwärtige Kunst versteht unter Ob-
jektivität etwas wesentlich anderes. Ihr ist der
sinnliche Tatbestand wichtiger als der psycho-
logische ; das heißt natürlich nicht, daß das Ideal
der gegenwärtigen Kunst die radikale Elimi-
nierung des Geistigen aus der wie immer ge-
arteten bildlichen Darstellung wäre; allein das
Geistige drückt sich in der Wirklichkeit des
Körperlichen aus und das Psychische wird nur
in der psychischen Bindung vollkommen leben-
dig. Die Überwindung der Psychologie konnte
nur auf dem Weg der erneuten und verstärkten
Anerkennung des Formalen vor sich gehen,
d. h., in einer vom Formalen bestimmten We-
sensfassung. Darauf kommt es natürlich
an, daß das Wesen überhaupt gefaßt werde;

aber während die psy-
chologisch determinierte
Kunst dies nur von der
inwendigen Seite her
vornahm, — daß das
Formale nur gleichsam
Funktion des Psycholo-
gischen wurde — so
kommt es der gegen-
wärtigen Kunst darauf
an, das Psychologische
als geistige Funktion des
Formalen, das Wesen
aus der Form sich be-
stimmen zu lassen. —
Die Überwindung der
Psychologie in der Kunst
war notwendig, um die
Kunst nicht auf dem
toten Punkt ankommen
zu lassen; sie hat zum
Schluß das künstlerische
Ergebnis aufs äußerste
gefährdet. Sie hat See-
lengespenster hervor-
gebracht, sie hat das
„Seelische" schon er-
gründet, noch ehe sie
das Leibliche überhaupt
gesehen hat, sie stürzte
sich in die Tiefe, noch
ehe sie das Außen und
Oben erkannt hatte.
Diesem Untergang einen
Aufgangfolgen zulassen,
ist eine der wichtigsten
Aufgaben der gegen-
wärtigen Kunst, k. h. r.
 
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