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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

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Michel, Wilhelm: Neue Gemälde von Karl Hofer
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https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0152

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Neue Gemälde von Karl Hof er

PROFESSOR KARL HOFER

GEMÄLDE »BEI CAPELLA«

keiten steht. Einen solchen Weg hat Hölderlin
in seiner Rhein-Hymne geschildert. Einen sol-
chen Weg hat Karl Hofer zurückgelegt.

Auf einem der letzten Gemälde Hofers gibt
es eine Hand, die sich auf eine steinerne Fen-
sterbrüstung stützt. Sie liegt ruhig mit ganzer
Innenfläche auf dem Stein auf, und ebenso
ruhig schließen sich die Finger vorn an die
senkrechte Steinfläche an. Der Griff dieser
Hand ist es, der merkwürdig stark ins Auge
fällt. Es ist eine sehr geschlichtete Bewegung;
eine Bewegung, die in klassischer Weise dem
Bau der Hand und ihrer Begegnung mit einem
rechtwinklig gefügten Stein entspricht. Es ist
eine Art von fester, ruhiger Ewigkeit in diesem
Griff. Man bemerkt in ihr einen ganzen, ge-
ordneten Menschen. Einen Menschen, der nicht
mehr Rebell ist, sondern sich vollkommen in
sein eigenes Leben wie in die Wirklichkeit der
Welt gefügt hat. Es ist Gesetz in dieser Geste;
Endgültigkeit, Geradheit und volle Realität. Ich
denke mir: Wäre dieser Mann nicht völlig in
sich klar geworden, so würde seine Hand sich

dem starren, kalten Stein gegenüber auf irgend
eine individualistische oder romantische Weise
zur Geltung zu bringen suchen. Sie tut es
nicht; sie ist vollkommen gehorsam; sie er-
kennt den Körper, der ihr da rechtwinklig be-
gegnet, durchaus an; sie ist die Hand eines
Menschen, der aus der Abgeschlossenheit seines
Ichs den Weg ins Freie gefunden hat, den Weg
zur Wirklichkeit, zur Einordnung, zu jener
vollen Geschöpflichkeit, die klar und still, ohne
Sentiment und Ressentiment, in den endgültigen
Rhythmen der Welt zu gehen weiß. Zu dieser
Hand gehört ein Mensch, der seinen „Ort" ge-
funden hat. In ihrem Griff ist Religion, Nüch-
ternheit und Wissen.

Die Nüchternheit, die Unangreifbarkeit seiner
Formen und Farben ist geistig bestimmt. Sie
kommen aus höchster Verantwortung: Eine
Welt muß gebaut werden, Da gilt es, alles
scharf ins Auge fassen, nichts Halbes oder Frag-
würdiges zulassen. Da gilt es, ganz bestimmt
sich auszudrücken. Man ist nicht mehr Mystiker,
der sich noch einbilden kann, in hoher Schwär-
 
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