DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Gehen wir einem Zeitalter der Entseelung entgegen?
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0192
Gehen wir einem Zeiialtcr der Entseelung entgegen?
über sie hinaus und trägtgeistigeFragestellungen
in Wissens- und Forschungsgebiete hinein, die
sich ihnen bisher fast völlig verschlossen hatten.
Das läßt sich z.B. in der Geschichtswissenschaft,
in der Kunst- und Literaturforschung beobach-
ten, aber auch in der Medizin, in der Psycho-
logie und Biologie, besonders auch im Denken
und Fragen der freien Philosophie: alle stehen
sie mehr oder minder deutlich unter den Hori-
zonten eines „geistes-wissenschaftlichen" Stre-
bens, d. h. einer Betrachtungsweise, die in allen
Ereignissen und Erscheinungen die innerlich zu-
sammenhängende Verlautbarung des Menschen-
geistes zu sehen weiß. Selbst die exakten Wissen-
schaften waren nie so „geistgläubig" wie in die-
sem Augenblick, wo dieser bedrohliche Ansturm
eines entseelenden Materialismus stattfindet.
Es ist also nur eine Teilwahrheit, wenn man
sagt, daß wir in einem Zeitalter der Entseelung
leben. Wir dürfen ihr gegenüber den Blick auf
das Ganze nicht verlieren. Erstens sind die
Gegenkräfte in großem Aufgebot vorhanden,
und z weitens hat wahrscheinlich auch diese „Ent-
seelung" eine bis jetzt noch verborgene Auf-
gabe, die sie gerade im Dienste einer neuen
Beseelung, einer künftigen Begeistung erfüllt.
Werkann mit Bestimmtheit sagen, daß die „Ent-
seelung" nicht dazu dienen wird, den Zusam-
menstoß der Menschheit mit den geistigen
Wirklichkeiten ihres Daseins desto sicherer
herbeizuführen? Es war immer ein guter Weg
zu den großen Wahrheiten des Lebens, mit
Entschlossenheit ein falsches Prinzip durch-
zuführen. Jeder Mensch hat eine Ahnung davon,
was „Erfahrungen" bedeuten, was es bedeutet,
mit den Folgen eines Irrtums tatsächlich zusam-
menzustoßen. Da werden in Form von Ver-
wundungen feste Einsichten davongetragen, die
dem Menschen, wenn auch zunächst nur auf
negative Weise, eine erweiterte Kenntnis seiner
wirklichen Situation vermitteln. Möge die
Menschheit sich der Entseelung überlassen;
möge sie versuchen, was auf diesem Wege zu
gewinnen ist: das Experiment kann nicht an-
ders enden als in einer neuen und vertieften
Erkenntnis, daß der Mensch in einer entseelten
Welt nicht leben kann, weil er damit gegen sich
selber lebt. Dann wird von neuem ein „Jahr
der Seele", ein Jahr der Kunst, des Geistes
und der Schönheit beginnen........ w. m.
über sie hinaus und trägtgeistigeFragestellungen
in Wissens- und Forschungsgebiete hinein, die
sich ihnen bisher fast völlig verschlossen hatten.
Das läßt sich z.B. in der Geschichtswissenschaft,
in der Kunst- und Literaturforschung beobach-
ten, aber auch in der Medizin, in der Psycho-
logie und Biologie, besonders auch im Denken
und Fragen der freien Philosophie: alle stehen
sie mehr oder minder deutlich unter den Hori-
zonten eines „geistes-wissenschaftlichen" Stre-
bens, d. h. einer Betrachtungsweise, die in allen
Ereignissen und Erscheinungen die innerlich zu-
sammenhängende Verlautbarung des Menschen-
geistes zu sehen weiß. Selbst die exakten Wissen-
schaften waren nie so „geistgläubig" wie in die-
sem Augenblick, wo dieser bedrohliche Ansturm
eines entseelenden Materialismus stattfindet.
Es ist also nur eine Teilwahrheit, wenn man
sagt, daß wir in einem Zeitalter der Entseelung
leben. Wir dürfen ihr gegenüber den Blick auf
das Ganze nicht verlieren. Erstens sind die
Gegenkräfte in großem Aufgebot vorhanden,
und z weitens hat wahrscheinlich auch diese „Ent-
seelung" eine bis jetzt noch verborgene Auf-
gabe, die sie gerade im Dienste einer neuen
Beseelung, einer künftigen Begeistung erfüllt.
Werkann mit Bestimmtheit sagen, daß die „Ent-
seelung" nicht dazu dienen wird, den Zusam-
menstoß der Menschheit mit den geistigen
Wirklichkeiten ihres Daseins desto sicherer
herbeizuführen? Es war immer ein guter Weg
zu den großen Wahrheiten des Lebens, mit
Entschlossenheit ein falsches Prinzip durch-
zuführen. Jeder Mensch hat eine Ahnung davon,
was „Erfahrungen" bedeuten, was es bedeutet,
mit den Folgen eines Irrtums tatsächlich zusam-
menzustoßen. Da werden in Form von Ver-
wundungen feste Einsichten davongetragen, die
dem Menschen, wenn auch zunächst nur auf
negative Weise, eine erweiterte Kenntnis seiner
wirklichen Situation vermitteln. Möge die
Menschheit sich der Entseelung überlassen;
möge sie versuchen, was auf diesem Wege zu
gewinnen ist: das Experiment kann nicht an-
ders enden als in einer neuen und vertieften
Erkenntnis, daß der Mensch in einer entseelten
Welt nicht leben kann, weil er damit gegen sich
selber lebt. Dann wird von neuem ein „Jahr
der Seele", ein Jahr der Kunst, des Geistes
und der Schönheit beginnen........ w. m.