ALI
LICHTEN-
STEIN
PRINZ G.
V.HESSEN
SCHOEPFERISCHE GRUNDIMPULSE
Immer, wenn wir vor einem großen Werk der
Kunst stehen, spüren wir unbewußt einen
Grundimpuls heraus, aus dem dies Werk ge-
schaffen wurde. Ja, bei manchem Großen ist
dieser Grundimpuls so stark, daß wir ihn uns
bewußt machen können. Aber er ist dann im-
mer so stark eingebaut in das Ganze der be-
treffenden Persönlichkeit, daß wir ihn nur schwer
in seiner Wesenheit erkennen. Jedenfalls: —
ein Gegenüber mit andern möglichen Grund-
impulsen scheint gerade vor solcher überragen-
den Wucht eines bestimmten schwer möglich.
Da müssen wir unpersönlicher forschen. Wir
müssen Verjüngungszeiten der Kunst als Ganzes
beobachten. Immer, wo eine solche aufbricht,
wirbelt sie alle diese ganz bestimmten Grund-
impulse des Schöpferischen mit hoch, Und zwar
wird man erkennen, daß diese Grundimpulse
immer dieselben sind, daß nur ihre Mischung, ihr
gegenseitiges Lagerungsverhältnis die verschie-
denartige Physiognomie der Zeiten bestimmt.
Da ist es zunächst einmal der Erdimpuls, wenn
man es ganz allgemein so sagen darf, — die
„naturalistische Komponente" nennen es die
superklugen Stilkritiken. — Ein ganz neues Ver-
hältnis zum Natürlichen, zum Lebendigen über-
haupt setzt ein. In alle Formungen drängt sich
dies neue Lebensgefühl. In der jungen Gotik
sprießen die Knospen der Kapitelle, die Quat-
trocentisten können sich nicht genug tun in der
Eingliederung froher Naturvorgänge in ihre
Szenen. Sogar der Klassizismus, der junge des
jungen Canova z. B. sprudelt von einer neuen
Natürlichkeit, auf deren Grund dann erst der
alt-neue klassische Kanon einsetzen kann. Und
die Kunstrevolutionen des 19. Jahrhunderts
haben ja alle samt und sonders die Naturent-
deckung als ihre Tat ausgerufen. Und wieviele
Naturen wurden da entdeckt!
Also dieser frische Erdimpuls steckt in jeder
neu aufbrechenden Kunstzeit. Ihm nah ver-
wandt, mit ihm eingeschlossen und verbunden
LICHTEN-
STEIN
PRINZ G.
V.HESSEN
SCHOEPFERISCHE GRUNDIMPULSE
Immer, wenn wir vor einem großen Werk der
Kunst stehen, spüren wir unbewußt einen
Grundimpuls heraus, aus dem dies Werk ge-
schaffen wurde. Ja, bei manchem Großen ist
dieser Grundimpuls so stark, daß wir ihn uns
bewußt machen können. Aber er ist dann im-
mer so stark eingebaut in das Ganze der be-
treffenden Persönlichkeit, daß wir ihn nur schwer
in seiner Wesenheit erkennen. Jedenfalls: —
ein Gegenüber mit andern möglichen Grund-
impulsen scheint gerade vor solcher überragen-
den Wucht eines bestimmten schwer möglich.
Da müssen wir unpersönlicher forschen. Wir
müssen Verjüngungszeiten der Kunst als Ganzes
beobachten. Immer, wo eine solche aufbricht,
wirbelt sie alle diese ganz bestimmten Grund-
impulse des Schöpferischen mit hoch, Und zwar
wird man erkennen, daß diese Grundimpulse
immer dieselben sind, daß nur ihre Mischung, ihr
gegenseitiges Lagerungsverhältnis die verschie-
denartige Physiognomie der Zeiten bestimmt.
Da ist es zunächst einmal der Erdimpuls, wenn
man es ganz allgemein so sagen darf, — die
„naturalistische Komponente" nennen es die
superklugen Stilkritiken. — Ein ganz neues Ver-
hältnis zum Natürlichen, zum Lebendigen über-
haupt setzt ein. In alle Formungen drängt sich
dies neue Lebensgefühl. In der jungen Gotik
sprießen die Knospen der Kapitelle, die Quat-
trocentisten können sich nicht genug tun in der
Eingliederung froher Naturvorgänge in ihre
Szenen. Sogar der Klassizismus, der junge des
jungen Canova z. B. sprudelt von einer neuen
Natürlichkeit, auf deren Grund dann erst der
alt-neue klassische Kanon einsetzen kann. Und
die Kunstrevolutionen des 19. Jahrhunderts
haben ja alle samt und sonders die Naturent-
deckung als ihre Tat ausgerufen. Und wieviele
Naturen wurden da entdeckt!
Also dieser frische Erdimpuls steckt in jeder
neu aufbrechenden Kunstzeit. Ihm nah ver-
wandt, mit ihm eingeschlossen und verbunden