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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

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Schürer, Oskar: Schoepferische Grundimpulse
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https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0346

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Schöpferische Grundimpulse

zu einem neuen Vitalismus, ist der erotische
Impuls, der immer in solchen Wandlungen vor-
bricht. Wir können wieder all jene Sturmzeiten
durchverfolgen: immer ist da ein ganz bestimmt
ausgeprägtes erotisches Drängen, das in neue
Formen schießt und einen oft wilden Elan in
die Bewegung gießt. Man muß spüren, wie
jungkräftig und voller Oppositionsgeist diese
Erotik jener andern gegenübersteht, die immer
— auch in den Dauerzeiten — in der Kunst
treibt. „Frühlingserwachen" hat es in jeder
Kunstrevolution gegeben.

Zu beiden tritt der religiöse Impuls. Er fehlt
nie, wo Kunst sich verjüngt. Mögen die Revo-
lutionäre noch so heidnisch sich gebärden. In
pantheistischer oder in theistischer Form wird
das der Kunst unzugängliche Wesen der Mystik
umschrieben, hineingenommen in den Erneue-
rungsprozeß. Wie weit dieser Impuls zur über-
ragenden Stellung im Ensemble durchzustoßen
mächtig war, hat oft das Gesicht einer ganzen
Epoche entschieden. Jedenfalls stellt seine
Auseinandersetzung mit der formalen Proble-
matik einer Zeit immer die interessantesten und
kompliziertesten Problematiken für den Be-
trachter. — In diesen religiösen Grundimpuls

mischt sich oft noch ein magischer, der aus der
Spätzeit der abgelaufenen, jetzt zu überwinden-
den Epoche herübergreift, herüberwuchert, und
in dem freigefegten Gehege sich wild austum-
meln kann. Weder er selbst noch die andern
erkennen ihn als der bekämpften Periode zuge-
hörig. Er gebärdet sich hypermodern — und
ist doch nur welker Duft aus abgelebten Zeiten.

Alle offiziellen Kunstbegriffe von „natura-
listisch", realistisch", idealistisch", oder gar
die besonderen Richtungs- und Schulbezeich-
nungen ergeben sich erst auf einer dieser
Grundimpulsebene nachgeschichteten Ordnung.
Die expressionistische Bewegung — so nennt
man ja wohl die Anfänge der heutigen Kunst!
— liefert für das hier Ausgeführte die deutlich-
sten Belege. Wie in einem Schulbeispiel lagern
hier die verschiedenen Impulse nebeneinander,
mischen sich, hetzen sich gegenseitig hinauf auf
die Grate eines schwindelnden Subjektivismus,
und finden sich erst nach einer Katastrophe hin
zu dem sie alle im Grunde haltenden Realismus,
der unsere Zeit bestimmt. Sie erlöschen nicht
darin, — sie läutern sich in ihm, erweisen ihren
existentiellen Wert. Die aber erlöschen, ver-
raten ihre Schwäche. — dr. oskar schürer-prag.

PAUL THESING—DARMSTADT »STILLEBEN«

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