Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: "Die Landschaft ist ein Seelenzustand"
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0402

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
■»Die Landschaft ist ein Seelenzustand«

mm

FRANZ BARWIG—WIEN. HOLZPLASTIK »JÜNGLING«

und spricht dem Draußen die Wirklichkeit ab.

— Gewiß ist die Landschaft unter anderem
auch Seelenzustand. Gewiß trifft alles Äußere
auf ein lebhaft antwortendes und verarbeiten-
des Element in uns, und insbesondere die Ver-
wandtschaft der äußeren Natur zur Menschen-
seele (also die „Seelenhaftigkeit" der Land-
schaft) kann nicht bestritten werden. Aber
das kann nicht bedeuten, daß die Spiegelung
das Ganze und das Reale der Landschaft sei.
Goethe drückt die erwähnte Verwandtschaft
tief und schön in dem Worte aus: War' nicht
das Auge sonnenhaft — Die Sonne könnt' es
nicht erblicken! Wie klar gibt dieses Wort die
inwendige, wesenhafte Beziehung des Auges
zum großen Gestirn an! Aber wie deutlich hält
es auch das Bewußtsein von der objektiven
Wirklichkeit „Sonne" fest! Und sehr bezeich-
nend ist es, wie man in neuester Zeit dieses
Wort glaubte umprägen zu müssen. Es lautet
nämlich in der Fassung, die ihm Fritz Mauthner
gegeben hat: „Wär' nicht die Sonne augenhaft

— das Auge könnt' sie nicht erblicken I" Das
scheint von weitem mit dem Goethe'schen Satz
übereinzustimmen. Aber in der Nähe gewahrt
man sofort, daß hier ein grundlegender Unter-
schied gegeben ist. Goethes Wort geht von
der großen Tatsache „Sonne" aus und setzt zu
ihr das menschliche Auge in Beziehung. Mauth-
ners Satz geht vom Auge aus und setzt zu ihm
die Sonne in Beziehung, bringt also irgendwie
das ewige, lebenspendende Gestirn auf das
enge menschliche Maß.

Genau so verfährt der, dem an dem Sach-
verhalt „Landschaft" nur der Reflex im Ich,
also der „Seelenzustand" wichtig ist: er ver-
nachlässigt die objektiv-gesetzlichen, vom Ich
unabhängigen Bestandteile dieses Sachverhalts
und verkürzt damit sein Weltbild um ein sehr
wesentliches Element. Da muß auf die Dauer
das Gefühl für die Doppelpoligkeit des Welt-
bildes schwinden und der eine, der Ich-Pol, zur
Überbewertung kommen. Wir haben diese Kon-
sequenz in der Malerei sich entwickeln sehen.
Der frühe Impressionismus brachte, indem er
von dem blinden, stumpfen Objektglauben des
Realismus und Naturalismus abrückte, jene be-
zaubernden Schöpfungen hervor, in denen die
Landschaft sich geistig und subjektiv durch-
leuchtete, Da hielten sich das Gefühl der sub-
jektiven, schöpferischen Freiheit und das Ge-
fühl der Bindung durch das Objekt noch die
Wage. Der spätere Impressionismus drängte die
subjektiv-seelischen Elemente des Weltbildes
schon sehr stark in den Vordergrund, und der
Expressionismus brachte sie zu völliger tyran-
nischer Alleinherrschaft. In ungehemmter Will-

392
 
Annotationen