»Die Landschaß ist ein Seelenzustand^
carl schwalb ach—münchen
»morgen am brunnen«
kür schaltete das Ich des Künstlers mit den For-
men, uneingedenk der uralten Tatsache, die mit
der Welt zugleich gesetzt ist: daß jede Form
etwas Bestimmtes bedeutet. Es ist das phy-
siognomische Grundgesetz der Schöpfung, daß
alle Gestalt eine bestimmte Bedeutung hat und
daß von jeder Form auf einen bestimmten Inhalt
geschlossen werden muß.
Landschaft ist Seelenzustand, ja. Aber hart
dabei ist sie ein Formengefüge eigenen Rechts
und eigener Realität, in dem ein bestimmter,
von der Willkür des Ichs unabhängiger Inhalt
zutage tritt. Das geordnete Gefüge „Land-
schaft" entsteht, wenn man so will, auf der
Netzhaut unseres Auges und unserer Seele, d. h.
es wird an dieser Stelle Gegenstand unserer
Welt und Wahrnehmung. Aber es ist doch nur
ein Auffassungs- und Zueignungsakt, was
an dieser Stelle geschieht, nicht ein Stiften,
nicht ein Schaffen. Jener Satz von Amiel gibt
um kein Haar mehr an, als die Relation des
Menschen zu einer Wirklichkeit, nicht aber diese
Wirklichkeit selbst. Es ist daher idealistische
Illusion, zu sagen: Die Landschaft ist ein Seelen-
zustand. Sie kann, nachdem sie schon lange
Landschaft, d. h. geheimnisvolle Naturwirklich-
keit ist, zum Seelenzustand werden, aber
nie wird der Mensch der Täuschung verfallen
dürfen, daß die so erregte Seelenschwingung
das Ding sei.
Ich fasse zusammen: Die Landschaft ist
ebensowenig mein Seelenzustand, wie die Welt
meine Weltanschauung, das Leben meine
Lebensauffassung, das Ding mein Ding-
begriff ist. In der Landschaft wie in der Welt,
im Leben und in jedem Ding gibt es eine ob-
jektive Gesetzlichkeit und Wirklichkeit. Nicht
wir haben die Ordnung und den Sinn in der
Schöpfung gestiftet, sondern umgekehrt: Wir
sind in Ordnung, wir erhalten uns im Sinn,
weil Natur und Leben ständig ordnend und
sinnvoll auf uns einwirken.
An dieser Stelle stehen wir heute. In dieser
Weise ist das Wort, von dem wir ausgingen,
heute überholt. Denn nicht unser Weltbild
kritisch zu zersetzen, ist unsere Aufgabe, son-
dern die, ihm den Begriff der Wirklichkeit und
den Glauben an sie zurückzuerobern, w. michel.
393
carl schwalb ach—münchen
»morgen am brunnen«
kür schaltete das Ich des Künstlers mit den For-
men, uneingedenk der uralten Tatsache, die mit
der Welt zugleich gesetzt ist: daß jede Form
etwas Bestimmtes bedeutet. Es ist das phy-
siognomische Grundgesetz der Schöpfung, daß
alle Gestalt eine bestimmte Bedeutung hat und
daß von jeder Form auf einen bestimmten Inhalt
geschlossen werden muß.
Landschaft ist Seelenzustand, ja. Aber hart
dabei ist sie ein Formengefüge eigenen Rechts
und eigener Realität, in dem ein bestimmter,
von der Willkür des Ichs unabhängiger Inhalt
zutage tritt. Das geordnete Gefüge „Land-
schaft" entsteht, wenn man so will, auf der
Netzhaut unseres Auges und unserer Seele, d. h.
es wird an dieser Stelle Gegenstand unserer
Welt und Wahrnehmung. Aber es ist doch nur
ein Auffassungs- und Zueignungsakt, was
an dieser Stelle geschieht, nicht ein Stiften,
nicht ein Schaffen. Jener Satz von Amiel gibt
um kein Haar mehr an, als die Relation des
Menschen zu einer Wirklichkeit, nicht aber diese
Wirklichkeit selbst. Es ist daher idealistische
Illusion, zu sagen: Die Landschaft ist ein Seelen-
zustand. Sie kann, nachdem sie schon lange
Landschaft, d. h. geheimnisvolle Naturwirklich-
keit ist, zum Seelenzustand werden, aber
nie wird der Mensch der Täuschung verfallen
dürfen, daß die so erregte Seelenschwingung
das Ding sei.
Ich fasse zusammen: Die Landschaft ist
ebensowenig mein Seelenzustand, wie die Welt
meine Weltanschauung, das Leben meine
Lebensauffassung, das Ding mein Ding-
begriff ist. In der Landschaft wie in der Welt,
im Leben und in jedem Ding gibt es eine ob-
jektive Gesetzlichkeit und Wirklichkeit. Nicht
wir haben die Ordnung und den Sinn in der
Schöpfung gestiftet, sondern umgekehrt: Wir
sind in Ordnung, wir erhalten uns im Sinn,
weil Natur und Leben ständig ordnend und
sinnvoll auf uns einwirken.
An dieser Stelle stehen wir heute. In dieser
Weise ist das Wort, von dem wir ausgingen,
heute überholt. Denn nicht unser Weltbild
kritisch zu zersetzen, ist unsere Aufgabe, son-
dern die, ihm den Begriff der Wirklichkeit und
den Glauben an sie zurückzuerobern, w. michel.
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