Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dobschütz, Ernst von
Christusbilder: Untersuchungen zur christlichen Legende — Leipzig, 1899

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4919#0311
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
VII. Schlussbetrachtung.

291

kam, den Maler nach der bekannten griechischen Legende Lukas
zu nennen, so gleichfalls ein slavischer Text der Abgarle-
gende.1) Das alles beweist wohl zur Genüge, dass in der Ent-
wicklung beider Legenden sich zahlreiche Analogien finden,
die doch nicbt durch gegenseitige Beeinflussung erklärt werden
können.2) Zwei selbständige Gewächse auf gleichem Boden, haben
beide Legenden unter denselben Bedingungen vielfach völlig über-
einstimmende Triebe hervorgebracht.

Aber damit ist das Problem noch nicht in seiner ganzen
Schwierigkeit erfasst. Was die beiden Legenden wertvoll macht,
sind ja nicht diese Einzelzüge, die sich in bunter Mannigfaltig-
keit um ihren Stamm ranken. Ihre Bedeutung liegt in dem
Gedanken des wunderbar entstandenen Christusbildes und eben
um dessentwillen hat man sie zusammengestellt, mit einander
verglichen, aus einander abzuleiten versucht. Neuerdings3) hat
sich nun die merkwürdige Erscheinung ergeben, dass in beiden
Legenden der Gedanke des wunderbaren Christusbildes nicht
ursprünglich ist, sondern an die Stelle eines einfachen gemalten
Christusbildes getreten ist. Es fragt sich, wie dieser Wechsel
in beiden Legenden zu erklären ist.

Wir haben einen ganz neuen Standpunkt zur Beurteilung
dieser Frage gewonnen durch den Nachweis, dass sie nicht iso-
liert stehen; dass der Glaube an wunderbar entstandene Christus-
bilder im 6. Jahrhundert in der griechischen Christenheit ein
weit verbreiteter war, der nach Rom so gut wie nach Ägypten
seine Wirkungen ausübte. Die Gruppe des Bildes von Kamuliana,
daneben die zerstreuten Christusachiropoi'iten von Memphis und
Rom, an der Martersäule und auf den Leichentüchern haben uns
den Beweis erbracht, dass der Gedanke einer wunderbaren Abbil-
dung durch Berührung keineswegs von der edessenischen Legende
ausgegangen ist, sondern in diese selbst erst auf Grund ver-
breiteten griechischen Glaubens eingetragen wurde. Die moderne

1) vgl. VI 23 mit V 50. 90*.

2) Näher stehen sich schon der ältere lateinische Abgartext (V 40 -
Beil. III) und die Veronilla-Bearbeitung (VI 0) mit der Auffassung der Bilder
als Darstellungen der ganzen Figur. Doch auch hier scheinen beiderseits
verschiedene Motive wirksam gewesen zu sein, s. S. 137 (78) und 249 f.

3) d. h. durch die Auffindung der Doctr. Addai (V 6) und die rich-
tige Einordnung der Cur α Sanitatis Tiberη (VI 2).

19*
 
Annotationen