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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Luecke, Hermann: Bertel Thorwaldsen: geb. 1770 in Kopenhagen, gest. 1844 daselbst
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https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0096
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BERTEL THORWALDSEN.

blicke fpäter war die Skizze zu der berühmten Statue des Hirtenknaben an-
gelegt.«^)
Man hat neuerdings die Behauptung gehört, die künhleriche Auffaffungs-
weife Thorwaldfens fei eine vorwiegend ^formale« gewefen, he habe etwas
Aeufserliches gehabt, was hch befonders bei diefen beiden berühmten Werken
zeige, für welche ^Zufälligkeiten der untergcordnethen Art« die Motive abge-
geben. Was zuvörderft diefe Motive betrifft, fo waren he fchlechterdings nicht
das, als was he hier bezeichnet werden, he enthielten fehr wichtige künhlerifche
Momente und fchon das Gewahrwerden derfelben war ein Akt von wefentlich
künftlerifcher Bedeutung; dafs hch Thorwaldfen durch folche Motive anregen
liefs, heweih die frifche Lebendigkeit feines künhlerifchen Sinnes; in folcher
unmittelbarer Berührung mit der Erfcheinungswelt erzeugen hch die wahrhenbild-
nerifchen Gedanken. Der Charakter der Werke aber, zu deren Schöpfung diefe
Motive nur den Impuls gaben, ifl doch offenbar durch eine ganze Reihe noch
anderer Momente behimmt. Der Merkur und der Hirtenknabe find doch etwas mehr,
als blofseExemplihcationen jener Bewegungsmotive. In dem Merkur ift ein ähnliches
Ideal verkörpert, wie es die antiken Hermesgehalten in ihrer fpäteren Ausbildung
darhellen; er zeigt in den jugendlich fchlanken Formen eine ähnlich fchöne Ver-
fchmelzungvonGefchmeidigkeit und Kraft, wie he jenen Gehalten, den Idealbildern
des griechifchen Ephebos, des vollentwickelten Jünglings, eigen ih; der Kopf mit
dem fcharf blickenden Auge ih dem Charakter diefer Gehalten entfprechend. Das
Bewegungsmotiv, welches die Natur dem Künhler an die Hand gab, hat er fehr
meiherhaft zum Ausdruck des Momentes benutzt, in welchem Merkur den Argus
zu erlegen im Begriff ih, oder, wie man zutreffender fagen kann, er hat diefen
Moment überaus glücklich gewählt, um jenes fchöne Motiv verwerthen zu können.
Auf einem Baumhamm htzend, hat Merkur den linken Fufs leicht auf den Boden
gehützt und ih im Begriff, hch zu erheben; die Rohrflöte, die er eben vom
Munde abgefetzt hat, hält er in der Linken, die Scheide des Schwertes, nach
welchem die andere Hand greift, drückt er mit der rechten Ferfe gegen den
Baumhamm. Der Moment der Spannung, in welchem hch Bewegung und Ruhe
gewiffermafsen verbinden, ih in der elahifchen Haltung des Körpers mit
höchher Wahrheit und Lebendigkeit ausgedrückt; jedes Glied, jeder Muskel par-
ticipirt aufs fprechendhe an dem Ausdruck des Ganzen, alle Theile der Figur
hehen untereinander in einem Zufammenhang, der den Eindruck dervollkommen-
hen organifchen Nothwendigkeit macht. In der Formenbehandlung bekundet hch,
bei aller hilihifchen Strenge, eine Feinheit des Naturgefühls, die nicht am wenig-
hen dazu beiträgt, dafs diefe Statue als eine der vorzüglichhen Schöpfungen
des Künhlers erfcheint. Soll man in ihr den Ausdruck eines ^tieferen
Gedankens« vermiffen? — Man würde hch den Eindruck des Werkes, wenn
man von der mythologifchen Bedeutung desfelben abfehen wollte, keineswegs
fehr wefentlich verringern. Die Idealität der Gehalt und ihr inneres Leben
reden an hch eine bedeutungsvolle, durchaus nicht inhaltlos zu nennende Sprache.
Das Werk ih ganz in antikem Geihe gedacht und mit Recht als eines von denen
gepriefen worden, in welchen Thorwaldfen der Antike am nächhen gekommen.
Diefer Ruhm wird ihm bleiben. Nichts kann ungerechter fein, als diefer Meiher-
 
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