DIE NIBELUNGENBILDER. VORSAAL.
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Wie Schnorr fchon im Ariohfaal der Villa Mafhmi die kleinen Wandhächen
zur Darhellung von Einzelperfonen verwendet hatte, um fo den ganzen Reich-
thum von Charakteren zu erfchöpfen, welcher die Dichtung erfüllt, fo benutzt
er dies Auskunftsmittel noch ausgiebiger in dem Vorraum der Säle des Königs-
haus. Alle Perfonen von entfcheidender Bedeutung treten dem Befchauer, zu
zweien oder dreien nebeneinandergeflellt, entgegen, gleichfam um ihm das Grund-
wefen ihres Charakters zu enthüllen, ohne deffen Verftändnifs ihr Eingreifen in
die Handlung nicht richtig erfafst werden kann. Durch das Zufammentreten
mehrerer Perfonen wird aber, falls he nicht heif und ohne gegenfeitige Rück-
hchtnahme auf einander daflehen follen, von vornherein eine Handlung bedingt,
und in der That ift bei diefen Figuren überall eine behimmte einzelne Handlung
aus der Dichtung vorauszufetzen, durch welche Situation und Stimmung allein
erklärlich wird. Freilich kommen wir dabei nicht ganz über den Widerfpruch
hinaus, dafs wir einerfeits die Perfonen aus der wirklichen Umgebung losgelöh
und auf idealen Hintergrund (einen Teppich mit dem Wappen der Helden) ge-
hellt fehen, wozu das einförmige, einer durch die Wirklichkeit einer Handlung
bedingten Gruppirung widerfprechende Nebeneinanderreihen himmt, andrerfeits
doch aber eine Bewegung und Stimmung fehen, welche ohne die Annahme eines
behimmten Momentes innerhalb eines als wirklich gedachten Gefchehens unver-
bindlich bleibt. Die fleh hieraus ergebende Schwierigkeit ih denn auch nicht
ohne Folgen geblieben, wie he hch namentlich an dem mehriach verwendeten
Auffchauen zeigt, deffen Grund nicht immer abzufehen ih. So gleich bei dem
erhen und wichtighen Paare, Siegfried und Chriemhilde. Sie fchmiegt hch an
den Gatten und hält in der erhobenen Linken einen Jagdfalken; indem he zu
ihm aufblickt, mag ihr der Mädchentraum von dem Edelfalken, den zwei Aare
zerkrallten, wieder durch die Seele ziehen: ih doch Siegfried eben im Begriff
zur Jagd auszuziehen, und hcherlich zu der, die ihm fo verhängnifsvoll werden
follte. Aber Siegfried, mit dem Jagdfpeer in der Rechten, wonach fchaut er,
von Chriemhilden hch wegwendend und aufwärtsblickend? Ih auch er von
Ahnung erfüllt? Er felbh geht doch ahnungslos der Gefahr entgegen: gerade diefes
Ahnungslofe, Vertrauensvolle, die Unzugänglichkeit jedem Verdacht gegenüber
ih fein eigentlichhes Wefen, das hier nicht richtig hch ausfpricht. Viel treffen-
der zeigt hch das andere Königspaar: Günther fafst Brunhilde, die hch von ihm
abwendet. Ihr Widerhand gegen den Neuvermählten enthält den Keim für den
verderbnifsbringenden Fortgang der Handlung. Da heht weiterhin der alte Hilde-
brand neben dem tiefbetrübten Helden Dietrich — er hat ihm die Kunde vom
Untergang feiner Mannen gebracht, der edle Rüdiger, die Hand aufs treue Herz
legend, vor dem König Etzel, der ihn auffordert feine Vafallenphicht zu erfüllen,
ein treffender Gegenfatz des echten Ritters und des fchlauen Hunnen, deffen
barbarifche Gehchtsbildung indeffen bei feinem weiteren Erfcheinen zum Vortheil
der Darhellung verfchwindet; dann Siegmund und Siegelinde, fchwer bedrückt
von dem Wunfche des Sohnes um das fchöne Königskind in Worms zu werben.
Zu diefen paarweife zufammengereihten Gehalten treten noch zwei Dreierreihen
hinzu: Volker, der feine Fiedel himmt und, das Auge nach oben richtend, dem
Tone laufcht; zu ihm wendet hch fcharfen Blickes und in klarer Voraushcht
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Wie Schnorr fchon im Ariohfaal der Villa Mafhmi die kleinen Wandhächen
zur Darhellung von Einzelperfonen verwendet hatte, um fo den ganzen Reich-
thum von Charakteren zu erfchöpfen, welcher die Dichtung erfüllt, fo benutzt
er dies Auskunftsmittel noch ausgiebiger in dem Vorraum der Säle des Königs-
haus. Alle Perfonen von entfcheidender Bedeutung treten dem Befchauer, zu
zweien oder dreien nebeneinandergeflellt, entgegen, gleichfam um ihm das Grund-
wefen ihres Charakters zu enthüllen, ohne deffen Verftändnifs ihr Eingreifen in
die Handlung nicht richtig erfafst werden kann. Durch das Zufammentreten
mehrerer Perfonen wird aber, falls he nicht heif und ohne gegenfeitige Rück-
hchtnahme auf einander daflehen follen, von vornherein eine Handlung bedingt,
und in der That ift bei diefen Figuren überall eine behimmte einzelne Handlung
aus der Dichtung vorauszufetzen, durch welche Situation und Stimmung allein
erklärlich wird. Freilich kommen wir dabei nicht ganz über den Widerfpruch
hinaus, dafs wir einerfeits die Perfonen aus der wirklichen Umgebung losgelöh
und auf idealen Hintergrund (einen Teppich mit dem Wappen der Helden) ge-
hellt fehen, wozu das einförmige, einer durch die Wirklichkeit einer Handlung
bedingten Gruppirung widerfprechende Nebeneinanderreihen himmt, andrerfeits
doch aber eine Bewegung und Stimmung fehen, welche ohne die Annahme eines
behimmten Momentes innerhalb eines als wirklich gedachten Gefchehens unver-
bindlich bleibt. Die fleh hieraus ergebende Schwierigkeit ih denn auch nicht
ohne Folgen geblieben, wie he hch namentlich an dem mehriach verwendeten
Auffchauen zeigt, deffen Grund nicht immer abzufehen ih. So gleich bei dem
erhen und wichtighen Paare, Siegfried und Chriemhilde. Sie fchmiegt hch an
den Gatten und hält in der erhobenen Linken einen Jagdfalken; indem he zu
ihm aufblickt, mag ihr der Mädchentraum von dem Edelfalken, den zwei Aare
zerkrallten, wieder durch die Seele ziehen: ih doch Siegfried eben im Begriff
zur Jagd auszuziehen, und hcherlich zu der, die ihm fo verhängnifsvoll werden
follte. Aber Siegfried, mit dem Jagdfpeer in der Rechten, wonach fchaut er,
von Chriemhilden hch wegwendend und aufwärtsblickend? Ih auch er von
Ahnung erfüllt? Er felbh geht doch ahnungslos der Gefahr entgegen: gerade diefes
Ahnungslofe, Vertrauensvolle, die Unzugänglichkeit jedem Verdacht gegenüber
ih fein eigentlichhes Wefen, das hier nicht richtig hch ausfpricht. Viel treffen-
der zeigt hch das andere Königspaar: Günther fafst Brunhilde, die hch von ihm
abwendet. Ihr Widerhand gegen den Neuvermählten enthält den Keim für den
verderbnifsbringenden Fortgang der Handlung. Da heht weiterhin der alte Hilde-
brand neben dem tiefbetrübten Helden Dietrich — er hat ihm die Kunde vom
Untergang feiner Mannen gebracht, der edle Rüdiger, die Hand aufs treue Herz
legend, vor dem König Etzel, der ihn auffordert feine Vafallenphicht zu erfüllen,
ein treffender Gegenfatz des echten Ritters und des fchlauen Hunnen, deffen
barbarifche Gehchtsbildung indeffen bei feinem weiteren Erfcheinen zum Vortheil
der Darhellung verfchwindet; dann Siegmund und Siegelinde, fchwer bedrückt
von dem Wunfche des Sohnes um das fchöne Königskind in Worms zu werben.
Zu diefen paarweife zufammengereihten Gehalten treten noch zwei Dreierreihen
hinzu: Volker, der feine Fiedel himmt und, das Auge nach oben richtend, dem
Tone laufcht; zu ihm wendet hch fcharfen Blickes und in klarer Voraushcht