Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die frühmittelalterliche Wirtschaftsordnung war agrarisch bestimmt und grundherrschaftlich verfaßt. Der land-
wirtschaftliche Schwerpunkt verlagerte sich im Mittelalter immer stärker von der Viehzucht zum Ackerbau. Der
größte Teil des bebauten Landes befand sich in Händen des Königtums, einer grundherrlich lebenden
Oberschicht und der Kirche. Ein grundherrschaftlicher Wirtschaftskomplex bestand im allgemeinen aus einem
Salhof (in Eigenbewirtschaftung betriebener Hof) und mehreren Hufen (Bauemstellen, deren Inhaber zu Abgaben
und Diensten verpflichtet waren und später auch Geldzins zu entrichten hatten). Das Herrenland wurde von
Wirtschaftshöfen aus in Eigenwirtschaft von unfreien Knechten und Mägden und den zu Frondiensten verpflich-
teten Hufenbauem bewirtschaftet.
Durch Waldrodungen wurde die Ackerbau- und Kulturlandfläche vor allem in den fruchtbaren Niederungen ver-
größert. Hier entstanden zugleich neue Rodungsorte, was dazu führte, daß sich auch die Straßen in die Niede-
rungen verlagerten. Diese Rodungsphase dauerte bis ins hohe Mittelalter an.
Die politische Entwicklung seit der fränkischen Zeit war gekennzeichnet durch den Kampf des Königtums
gegen den Aufstieg der weltlichen Großen. Die Verwaltung des Landes beruhte im wesentlichen auf der Graf-
schaftsorganisation. Die Grafen waren zunächst vom König eingesetzte Amtsträger, die den Besitz als Lehen
erhielten. Mit dem Zerfall der fränkischen Reichsmacht seit dem 9. Jh. erstarkten die Grafschaften. Einigen
Geschlechtern gelang es, mehrere Grafschaftsgebiete in ihrer Hand zu vereinigen. So erwarben z. B. die Konra-
diner, deren Machtzentrum im Lahngebiet lag, im 9. Jh. und frühen 10. Jh. die Grafschaften im großen
von der oberen Lahn bis zur sächsischen Grenze reichenden Hessengau.
Seit der Ottonenzeit (10. Jh.) versuchte das Königtum seine Macht auszubauen, indem es das Reich in
administrativer und zunehmend wirtschaftlich-fiskalischer Hinsicht auf eine von ihm geleitete Kirche stützte.
Unter Otto dem Großen (936-973) wurde der große konradinische Grafschaftszusammenschluß zerschlagen.
Durch die sogenannte Reichskirchenpolitik gewannen in Nordhessen vor allem das Erzstift Mainz und die beiden
hessischen Reichsabteien Fulda und Hersfeld großen Einfluß. Die Ausgestaltung des Pfarreinetzes im Gebiet der
Taufkirche Treysa unterstand beispielsweise Hersfeld, wozu schon früh Ottrau, Verna und Zella gehörten. Fulda
besaß früh Einfluß in Oberaula, Schöneberg und Rollshausen. Das Erzstift Mainz war bestrebt, sich ein eigenes
weltliches Territorium zu schaffen. Hierzu gehörte unter anderem auch die Lehnshoheit über Grafschaften in
Nordhessen. Das Erzstift konnte im 12. Jh. vor allem in Niederhessen seine Macht ausbauen.
Seit dem 12. Jh. kam es auch in „der Schwalm“ zu Klostergründungen. Das hersfeldische Kloster Immichenhain,
das Prämonstratenserkloster Spieskappel und das außerhalb „der Schwalm“ gelegene Kloster Haina konnten ihre
Besitztümer beträchtlich ausbauen. Allein die Mönche der Zisterzienserabtei Haina verwalteten im 13. Jh. von
ihren Wirtschaftshöfen in Treysa und Ransbach aus im Gebiet „der Schwalm“ Hofgüter, Grundstücke und Ein-
künfte in mehr als 30 Orten.
Mit dem Wiedererstarken kleiner Grafengeschlechter im 11. Jh. und der ersten H. des 12. Jh. und der
beginnenden Ausbildung der Landesherrschaft kam es im hohen Mittelalter zu Auseinandersetzungen um die
Vorherrschaft im hessischen Gebiet. In „der Schwalm“ gewannen die Ziegenhainer Grafen große Bedeutung.
Gleichzeitig bahnte sich in Nordhessen eine sehr viel folgenreichere Entwicklung an. Hier traten 1122 die
Ludowinger, seit 1130 Landgrafen von Thüringen, durch Heirat die Nachfolge zweier Grafenfamilien an. Unter
ihren Nachfolgern begann sich im 13. Jh. die hessische Landgrafschaft von ihren beiden Kemgebieten Marburg
und Kassel aus durchzusetzen. Dieses Geschlecht stieg innerhalb weniger Jahrzehnte in den engsten Kreis der
mächtigsten Reichsfürsten auf. Die größten Probleme in der Anfangszeit der hessischen Landgrafschaft waren der
Kampf gegen die Macht des Mainzer Erzbistums in Hessen und der Kampf gegen den Widerstand der zahlreichen
kleinen Grafen, vor allem gegen die Grafschaft Ziegenhain, die sich wie ein Riegel zwischen die beiden Gebiets-
teile der hessischen Landgrafschaft, Ober- und Niederhessen, schob.
Im 13. Jh. fand auch der Abschluß der sogenannten Besiedelungsphase statt. Die höchste Wohnplatzdichte war
erreicht. Seither setzte die sogenannte Entsiedelungsperiode ein, bei der in Hessen über die Hälfte der Wohnplätze
wieder wüst wurden. Diese Entwicklung hatte mehrere Ursachen. Epidemien, vor allem die im 14. Jh. auftretende
Pest, dezimierten die Bevölkerung erheblich. Wohnplätze, meist die in höheren Gebieten gelegenen, wurden auf-
grund der zurückgehenden Erträge nach der allgemeinen Klimaverschlechterung und wegen der weniger ertrag-
reichen Böden verlassen. Parallel dazu kam es zu einer Abwanderung in die Wirtschaftsmittelpunkte.
Wie die bereits bestehenden grundherrschaftlichen Wirtschaftszentren siedlungsverändemd gewirkt hatten, taten
es die jetzt entstehenden sogenannten „städtischen Wohnplätze“, die Städte, Marktflecken und Burgen. Zwar gab
es schon im frühen Mittelalter einzelne nicht-agrarische, nicht-grundherrschaftliche Siedlungen etwa von selb-
ständigen Händlern, sogenannte städtische Frühformen, aber erst jetzt mit der Ausweitung des Handels und dem
Erstarken der kleinen Territorien entstanden überall „städtische Wohnplätze“ als deren Stützpunkte. Sie zeich-
neten sich durch das Privileg aus, Märkte abhalten zu dürfen. Sie wurden Ämter- und Gerichtsmittelpunkte. In
ihnen gab es städtische Sonderrechtsbezirke („Stadtluft macht frei“). Der seit dem späten Mittelalter eingeführte

10
 
Annotationen