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Treysa und Ziegenhain besaßen schon in fränkischer Zeit wegen ihrer strategisch günstigen Lage an Furten der
Schwalm eine herausragende Bedeutung. Beide lagen an alten Feinstraßen, Treysa obendrein exponiert auf einem
Bergspom am Eingang zur Niederhessischen Senke. Bereits im frühen Mittelalter entstanden in beiden Orten
unter den Ziegenhainer Grafen Burgsitze, während die Burgen in Neukirchen und Schwarzenborn erst später zur
Sicherung der Randgebiete der Grafschaft angelegt wurden. Auch die Stadtgründung erfolgte nicht gleichzeitig; in
Treysa, das schon vor der Stadtrechtsverleihung eine Siedlung nicht-agrarischen Charakters war, bereits im
mittleren 13. Jh.; in Ziegenhain in der zweiten Hälfte des 13. Jh.; in Schwarzenborn um 1300 und in Neukirchen
erst im mittleren 14. Jh.
Das mit der Stadtgründung einhergehende Privileg, Märkte abhalten zu dürfen, und die persönliche Freiheit der
Stadtbewohner von ihren Feudalherren waren der entscheidende Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung der
Städte. Die Bevölkerung wuchs rasch an. Bald nach der Städtegründung wurden die Städte mit einer Stadtmauer
umgeben. Sie waren dadurch wie Großburgen, die in Kriegszeiten auch die Landbevölkerung aus der unmittelba-
ren Umgebung aufnehmen konnten. Anfangs war das von der Stadtmauer umgrenzte Terrain noch locker bebaut,
wurde dann planmäßig aufgesiedelt, bis die Häuser schließlich dicht gedrängt an engen Straßen auf schmalen Par-
zellen standen. Nur wenige Plätze wie der Marktplatz und der Kirchplatz, auf dem sich anfangs oft der Friedhof
befunden hatte, blieben unbebaut. Unmittelbar vor den Stadttoren kam es zu Ortserweiterungen.
In Treysa, das sich nach dem Rückzug der Ziegenhainer Grafen aus der Stadt zum zentralen Marktort der Graf-
schaft entwickelt hatte, kam es schon bald nach der Stadtgründung zur planmäßigen Anlage einer Neustadt am
Westhang des Bergspoms (vgl. Ortsplan Treysa). Sie wurde im 15. Jh. ebenfalls ummauert. Neben der Altstadt
stellte sie eine rechtlich selbständige Stadt dar, die eine eigene Stadtverwaltung besaß und das Recht hatte, eigene
Märkte abzuhalten. Neben Handwerkern, Kaufleuten und Ackerbürgern ließen sich hier auch Adelsfamilien
nieder.
Die städtische Entwicklung Ziegenhains wurde im wesentlichen durch die Präsenz der Grafen bestimmt. Südwest-
lich der Burg entstand auf eiförmigem Grundriß eine kleine Ansiedlung von Bediensteten, Handwerkern,
Fischern und Jägern. Sie wurde im ersten Drittel des 13. Jh. durch eine Stadtmauer und wegen ihrer Lage in der
Ebene zusätzlich durch einen Wassergraben und Palisadenwall gesichert. Im 14. Jh. wurde die Stadt erweitert.
Entlang der Hauptverkehrsstraße zum Spies entstand die Vorstadt „Weichaus“ als Kaufmanns-, Händler-, Hand-
werker- und Ackerbürgersiedlung.
Nach der Eingliederung der Grafschaft Ziegenhain in die hessische Landgrafschaft ließ Heinrich der Reiche
Ziegenhain zur Residenz ausbauen. Er plante auch den Ausbau zur Festung. Dieser erfolgte 1537 - 43 unter
Landgraf Philipp. Die Funktion als Festung bestimmte die Entwicklung der Stadt bis um 1800. Der Zutritt für
Nichtbürger war eingeschränkt. Die Marktfunktion ging verloren. In der Festung entstanden neben dem landgräf-
lichen Schloß vor allem Adels-, Herren- und Bamtensitze.
Die städtische Entwicklung Schwarzenborns wurde vor allem durch die Randlage im Gebiet der Grafschaft
Ziegenhain bestimmt. Die Stadt wurde vergleichsweise langsam besiedelt. Es kam zu keiner Vorstadtgründung.
Der Einzugsbereich für die Märkte fehlte. Auch unter den hessischen Landgrafen blieb Schwarzenborn das
bescheidene Ackerbürgerstädtchen. Im 16. Jh. verlor die Stadt ihre Funktion als selbständiger Amtsmittelpunkt.
1517 wurde Schwarzenborn von einem Stadtbrand weitgehend zerstört und erholte sich davon nur langsam.
Burg und Stadt Neukirchen wurden vergleichsweise spät angelegt. Im Gegensatz zu Schwarzenborn entwickelte
sich der Ort im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit zu einem administrativen und wirtschaftlichen
Zentrum für die unmittelbare Umgebung. Der Stadtbrand im Jahre 1533 hatte zur Folge, daß es auch in
Neukirchen zu keiner nennenswerten Vorstadtgründung kam.
Im Dreißigjährigen Krieg wurden vor allem Treysa und Ziegenhain weitgehend zerstört. Zur Sicherung der
Festung Ziegenhain hatte man zusätzlich vier Dreiecksschanzen errichtet und die Vorstadt „Weichaus“ erstmals
durch einen Schanzgraben gesichert.
Wegen der Zerstörungen durch Brände und Kriege sind aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit in den Städ-
ten nur wenige, meist massive Bauten und Bauteile wie Stadtmauern, Türme, Kirchen, Adelssitze und Gewölbe-
keller erhalten. Deshalb bestimmen heute im wesentlichen die Bauten der Wiederaufbauphase nach dem Dreißig-
jährigen Krieg, also seit der 2. H. des 17. Jh„ und vor allem die Bauten des 18. Jh. das Erscheinungsbild der vier
Städte. Vor allem in Neukirchen sind noch einige Fachwerkhäuser des 16. Jh. erhalten. Da viele Gebäude wieder
auf den alten Parzellen erbaut wurden, gibt neben den wenigen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bauten
die Parzellenstruktur Auskunft über die frühere Dichte der Bebauung und die mittelalterlichen Verhältnisse.
Schwarzenborn sank immer mehr zum unbedeutenden Ackerbürgerstädtchen herab. Neukirchen geriet in der
zweiten Hälfte des 18. Jh. in ein wirtschaftliches Vakuum. Fremde Kaufleute besuchten den Ort kaum noch, und
das Handwerk war unterbeschäftigt. Treysa blieb zwar ein wirtschaftlicher Mittelpunkt, erreichte jedoch nie mehr
die Blüte, die es vor dem Dreißigjährigen Krieg besessen hatte. Ziegenhain verlor mit der Schleifung der Festungs-
anlage 1807 seine bestimmende Funktion.
Erst im 19. Jh. und 20. Jh. erlebten Treysa, Ziegenhain und Neukirchen durch den Anschluß an die Eisenbahn,
den Bau von Verwaltungeinrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und kleinen Fabriken einen wirtschaftlichen

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