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Fürstliche und patrizische Repräsentations- und Verwaltungsbauten

Alt-Braunschweiger Hofanlage (Scharrnstraße 7),
Vorkriegszustand, Ansicht des Hofraumes


Braunschweigs historische Architektur zeigt, soweit sie mittelalterliche und nachmittelal-
terliche Großbauten betrifft, sowohl Merkmale einer fürstlichen Residenzstadt als auch
die einer bürgerlich patrizischen Stadtherrschaft. Die nach einem Brand am Ende des 19.
Jh. wiedererstandene Burg Heinrichs des Löwen im Mittelpunkt der Stadt, stellt zusam-
men mit der Stiftskirche und dem Burglöwen ein zentralistisches Machtzentrum dar, von
dem aus die werdende Stadt im 12. Und 13. Jh. beherrscht wurde. Mit dem allmählichen
Niedergang der herzoglichen Macht unter den Nachfolgern Heinrichs des Löwen und
endgültig mit derVerlegung der Residenz nach Wolfenbüttel (um 1400), übernahm in der
Stadt zunehmend eine patrizische Oberschicht die politische Führung. Sichtbare Zeichen
dieser bürgerlichen Selbstverwaltung waren die der Anzahl der fünf Teilstädte entspre-
chenden Rathäuser, von denen sich zwei erhalten haben: das prachtvoll ausgestattete
gotische Rathaus der Altstadt (s. Altstadtmarkt 7) und das im 18. Jh. umgebaute Rathaus
der Neustadt(s. Küchenstraße 1). Mit der Rückkehr der Herzöge in die Stadt und dem
damit verbundenen Verlust der bürgerlichen Selbstverwaltung in der zweiten Hälfte des
17. Jh. wurden die drei anderen Rathäuser, das der Altewiek, des Hagen und des Sack
abgebrochen. Ein besonderes architektonisches Dokument dieser frühen bürgerlichen
Epoche der Stadt hat sich im Gewandhaus, dem Lagerhaus der reichen Tuchhändler der
Altstadt erhalten (s. Altstadtmarkt 1), dessen prachtvoller Ostgiebel als eine der schön-
sten deutschen Renaissancefassaden gilt.
Der ab 1671 mit barocken und spätbarocken Repräsentationsbauten einsetzende neuer-
liche Ausbau zur Residenzstadt ist im Innenstadtbereich heute kaum mehr wahrnehmbar.
Nach dem 1960 erfolgten Abbruch des kriegsbeschädigten Residenzschlosses am Bohl-
weg (s. S. 166 f.) ist als einziger herzoglicherVerwaltungsbau dieser Zeitdie ehern.fürst-
liche Kammer an der Martinikirche erhalten geblieben, ein klassisch strenger Bau mit ko-
lossaler Pilastergliederung und dem herzoglichen Wappen im Giebel (s. An der Martinikir-
che 7).

Bürgerliche Wohnbauten
Das Fachwerkbürgerhaus
Obwohl im mittelalterlichen und nachmittelalterlichen Braunschweig nicht nur die Kirchen
und die meisten anderen öffentlichen Bauten, sondern auch etliche Wohnhäuser in Stein
errichtet waren, war Braunschweig im wesentlichen eine Fachwerkstadt- bis zur Kriegs-
zerstörung die größte und eine der reichsten und eindrucksvollsten Deutschlands. Das
heute nur noch als Restbestand faßbare Braunschweiger Fachwerk-Bürgerhaus er-
scheint mit seinen typischen Merkmalen in der Mitte des 15. Jh. bereits voll ausgebildet
und behält seine Funktion und Struktur über Jahrhunderte im Wesentlichen bei. Seine
Hochblüte erlebte es im ausgehenden 15. und im 16. Jh., als die Stadt am reichsten und
politisch nahezu unabhängig war und eine Fülle von prachtvollen, großen Neubauten ent-
standen, die mit zu den schönsten Holzbauten Deutschlands zählten.
Die sich in diesem einst reichen Material darstellende Entwicklung ist nicht typisch nieder-
sächsisch; sie zeigt in wichtigen Punkten örtliche Besonderheiten. Deutlich unterschei-
den sich die größeren, später meist patrizischen Höfe von denen der Kleinbürger. Nurzu
jenen gehörte meist ein heizbares Steinhaus als Wohnraum der Familie, die sog. Keme-
nate (s.u.), während das Vorderhaus und auch die Nebengebäude aus Holz waren. Im
Gegensatz zu anderen niedersächsischen Städten, in denen das städtische Bürgerhaus
meist mit dem Giebel zur Straße steht und wie das bäuerliche Hallenhaus auch über die
Giebelseite erschlossen wird, steht das Braunschweiger Bürgerhaus fast ausnahmslos
mit der Traufseite zur Straße und grenzt ohne Zwischenraum an den Giebeln jeweils an
das Nachbarhaus. Das eigentliche Bürgerhaus, d.h. das Haus des Kaufmanns und des
für den Markt und die Ausfuhr arbeitenden unternehmenden Handwerkers, lag in breiter
Front - bis zu 20 und mehr Spann breit-an der Straße. Eine stattliche Toreinfahrt führte
zur Däle und durch diese hindurch zum rückwärtigen Hof. Von der Däle führten Treppe
und Galerie zu den Räumen des Zwischengeschosses, das, bei durchgehendem Stän-
derwerk, mit dem Erdgeschoß eine Einheit bildete. Erst oberhalb des Zwischengeschos-
ses lag - mit neuer Aufstockung - das Obergeschoß, das, um den Wohnraum zu vergrö-
ßern, zur Straße hin vorkragte. Darüber lagen oftmals noch ein oder auch zwei weitere
Geschosse, die ebenfalls stockwerkweise abgebunden waren und Vorkragungen hatten.
Über dem obersten Stockwerk erhob sich in mehrfachen Geschossen das hohe und
steile Dach, das oft mit einem Windenerker zur Bergung von Gütern und Vorräten ausge-
stattet war (s. z. B. Hinter der Magnikirche 1, Alte Knochenhauerstraße 11,12,13, Burg-
platz 2).
Bewohnt waren diese Häuser ursprünglich nur im Erd- und Zwischengeschoß, während
die oberen Stockwerke und sämtliche Dachgeschosse der Lagerung von Waren dienten
oder als Hopfendarren benutztwurden. Die Fensterdieser Räume waren daherauch nicht

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