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Sein Lebe

Gewalt auf den Kopf, daß er zurücktaumelte, und Pistole und
Bowieknife fallen ließ. Der Matrose benutzte den Erfolg,
sprang auf ihn zu, und versetzte ihm beim Entfliehen noch
mehrere heftige Schläge, bis er zu Boden stürzte, zwei Match-
leute kamen und Beide arretirtcn. Der Matrose wurde andern
Tags nach der Untersuchung freigelaffen, der Uebelzugerichtete
aber in's Zuchthaus gesteckt, weil sich das Geld in seinem
Sacktuch als falsche Münze erwiesen hatte.

Morgens um fünf Uhr mußte ich auf den Beinen sein,
konnte aber jeden Nachmittag einige Stunden ausruhen, weil
ich gewöhnlich bis ein und zwei Uhr Nachts auf sein mußte.
In einer dieser Nachtstunden wartete ich einst länger als sonst
auf das Postdampfschiff von Cincinnati, vor desseu Ankunft ich,
des Zuspruchs seiner Mannschaft wegen, nie das Haus schloß.
Schlaftrunken streckte ich mich endlich auf die Bank. Ein junger
Amerikaner, der öfters spät in der Nacht hier sein Ruhelager
suchte, trat ein und setzte sich still auf einen Stuhl an der
Thüre, von wo aus er zeitweise nach mir umblickte; dann
verließ er seinen Sitz und ging sachte im Zimmer aus und
ab, ohne ein Auge von mir zu wenden. Ich schnarchte sorglos
weiter, mit anscheinend geschloffenen Augen, durch welche ich ihn
jedoch beobachtete. Er trat nun vor den Spiegel, der hinter
meinem Kopfe hing, und verblieb dort eine Minute lang; weil
er mich im Spiegel wahrnehmen konnte, so wollte ich nicht
nach ihm umsehen. Durch meine Reglosigkeit bestärkt in der
Meinung, ich schlafe, öffnete er vorsichtig die Thüre in's Spei-
sezimmer, und als er darin keinen Zeugen wahrnahm, schlich er
sich auf den Zehen hinter die Bar und versuchte die Schublade,
welche die Caffe enthielt, leise hervor zu ziehen; diese ging
jedoch sehr hart und das verursachte Geräusch veranlaßte ihn
zu einem Satze über die Bar. Zu gleicher Zeit, denn er be-
hielt mich stets im Auge, bemerkte er eine Bewegung an mir,
als ich gerade im Begriffe war, mich zu erheben, um ihn auf
der That zu ertappen, und verließ mit einem weitern Sprunge
das Haus. Er war nicht der einzige Nachtvogel, der heute
sein Glück hier probiren wollte, denn gleich darauf erschienen
drei feingekleidete Amerikaner und verlangten Karten, um ein
Spiel zu machen. Ich schlug es ihnen ab, weil es zu spät sei
und ich das Haus schließen wolle. „Du mußt immer spielen!"
sagte Einer von ihnen zum Andern: „Wir können ja auch so
etwas trinken. Brandy mit Zucker!" Ich schenkte ein, sie tran-
ken, und nachdem Einer von ihnen alles Waffer in der Kanne
unter dem Anschein der Ungeschicklichkeit verschüttet hatte, forder-
ten sie mich auf, mehr herbei zu schaffen. Weil ich das Waffer
stets von der Straße zu holen hatte, so hielt ich es für bester,
die Herren nicht allein gm Barroom zu lasten, und sagte: „Be-
zahlen Sie zuerst für den Liqueur!" — „Was fällt Ihnen ein!"
sprach Einer von ihnen großartig: „Wir sind gewohnt, zu be-
zahlen, ehe man uns darum ersucht," und hiermit händigte er
mir eine falsche Banknote ein. Ich gab vor, keine kleine Münze
zu haben. „Warum?" frug der Nämliche und nahm eine
drohende Miene an, „haben Sie etwas einzuwenden gegen unser
Geld?" zu gleicher Zeit aber ließ er einen Vierteldollar auf
der Bar klingen, und befahl mir stolz, Waffer zu holen. Ich

»machen. 51

; gab ihm ein Sixpence heraus, schloß die Caffe, steckte den Schlüssel
ein und sagte: „Wenn Sie hier Waffer trinken wollen, so

müffen Sie morgen wieder kommen." Sie sahen mir einen
' Augenblick in's Gesicht, traten mie einem „ckamnsck äutcllman!"
j vor die Thüre, und hielten Rath, entfernten sich aber uuver-
! richteter Sache, denn der Dampfer von Cincinnati landete, und
die Feuerleute und Deckhände deffelbeu eilten durstig auf mein
Haus zu, das einzige, in welchem sie noch Licht sahen. Diese
Matrosen werfen, wenn sie einen Monat lang den Ohio und
Mississippi befahren haben, so lange in den Wirthshäusern
Anker, als ihr Geld und ihr Credit reicht, und beschließen,
wenn sie nicht mit den Dampfkesseln in vie Luft fliegen, oder
am gelben Fieber sterben, an Folgen ihrer'Strapatzen und Aus-
schweifungen ihre Laufbahn in den Hospitälern: die meisten
wenigstens machen auf diese Weise ihr Leben und ihren Tod.

Vorerwähnter Vorfall veranlaßte mich, in der Wirthscha ft,
welche das Höflichkcitssystem des Wirthes bisher vor jeder Waffe
bewahrt hatte, eine Reform einzuführen, und so hängte ich
andern Tags ein mit einer ledernen Handschlinge versehenes
Stuhlbein hinter die Bar. „Grau, theurer Freund, ist alle
Theorie, doch grün des Lebens goldner Baum!" Ich schritt
daher von der Theorie zur Praxis, und wendete sie zuerst auf
den Kopf eines Matrosen an, der mir mit einem Krug Krüuter-
bier einen Schlag auf die Schulter versetzt hatte, und mein
Friedensmittel that seine Wirkung. „Gottlob! mein Arm ist
wieder ziemlich gut," dachte ich nach der Probe, welche den
Streitsüchtigen auf mehrere Tage in das friedliche Bereich des
Bettes bannte; er gehörte zur Claffe jener Menschen, die
nicht so schlimm sind, wenn man sie gut zu behandeln weiß,
und sobald er wieder ausgehen konnte, kam er, schüttelte mir
die Hand, und traktirte mich mit „einem Glase."

Doch um kurz zu sein, ich praktizirtc fast ein halbes Jahr
lang bei Rimle, im ersten Monat verging keine Woche, in
welcher nicht aus der Thüre des Barrooms ein Mensch ohne
den Gebrauch seiner Beine geflogen wäre, dann war aber auch
das Haus so ziemlich gereinigt von den Loafern, und seltener
kamen Fälle vor, die entweder der Wirth oder ich von ver-
schiedenen Standpunkten aus schlichtete.

Eines langweiligen Samstags benachrichtigte mich der
Zeitungsträger, meine Pensionspapiere seien angckommen. Ich
warf den Kehrwisch zu Boden, womit ich gerade den Staub
von den Bilderrahmen abgekehrt, und rief aus: „Trinke ein

Glas Schnaps für deine fröhliche Botschaft, und verkündige
Allen, die an großem Durst leiden, daß ihnen Heil wider-
fahren sei, denn ich werde eine Wirthschaft gründen, und alle
Tugenden der Wirthe, Höflichkeit und Grobheit, in mir ver-
einigen, als leuchtendes Musterbild für alle gegenwärtigen und
zukünftigen Diener der Bar!"

(Fortsetzung folgt).

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