122
Kuno von Rabeneck, der Verfehmte.
heftige innerliche BewegungS8). Bald sammelt er sich jedoch in
so weit, daß er Folgendes mit deutlicher aber altersschwacher
Greisenstimme zu sprechen vermag:
„Traun, Ihr werdet gütigst verzeihen, edle Dame, daß ich
mir die Freiheit nehme, Euch auf einige Augenblicke durch meine
Gegenwart zu incommodiren; aber der allgemeine Ruf von hoch-
dero Verdiensten und fürtrefflichen Eigenschaften erregte den leb-
haften Wunsch in mir, die Ehre einer persönlichen Bekannt-
schaft mit Hochderselben haben zu dürfen88). Ich komme nem-
lich von Palästina"-
Bertha. „Ha, meine Ahnung48 49 50 51 52 53 54 55 56 57)!*— (ihre Augen starren
gedankenlos umher.)
Pilgrim. „Und soll Euch von Eurem edlen aber un-
glücklichen Gemahl diesen Gruß und Handschlag nebst beifolgen-
dem Handbriefe 41) eine Kunde bringen, welche um so schmerz-
licher auf die edle Construktion Eures schönen Herzens einwirken
dürfte, da die jetzigen nahrungslosen Zeiten das Fortkommen
ohnedieß so erschweren, und der einmal sauer erworbenen Habe
einen doppelten Werth beilegen. Verzagen Sie indeß nicht an
der einstmaligen Wiedererlangung des Ihrigen, und denken Sie,
daß dort droben über den Sternen auch noch —"
Bertha (ahnungsvoll brütend). „O hinter dem Schneckcn-
gangedieser Erzählung48) muß etwas Furchtbares lauern!" (Laut
zu den Ihrigen:) „Entfernt Euch meine Lieben! (es geschieht).
Mach' es kurz, Alter, und drücke mir, — anstatt dieses tropfen-
weisen Giftes48), — lieber gleich mit Einem raschen Stoße den
Dolch in die Brust! Sprich es aus, das furchtbare Wort, das
alle Schrecknisse des Weltgerichts vor meinem Ohre zu losem
Zephyrsgesäusel herabzustimmen im Stande ist, — das Eine
Wort: Kuno von Rabeneck ist nicht mehr44)!"
Pilgrim. „Ich fühle mich glücklich, Euch gerade des
Gegentheils anniit versichern zu dürfen, daß Herr Kuno lebt,
und sich so gesund, wie jemals, befindet, aber-- die All-
macht der Convenienz, die erlaubte, ja sogar gebotene Rücksicht
der Selbsterhaltung, klimatische Einwirkungen, — veränderte
Kost, — Sklaverei, ewige Ketten, ja selbst der bleiche Tod in
müßiger gerne45),:— das Alles und noch mehr, — die festeste
Tugend glitscht auf solchem schlüpfrigen Pfade aus48) — mit
Einem Wort: Kuno von Rabeneck ist — wider sein Wissen und
Wollen — zum Zwcitenmale vermählt worden4')!"
„Ha, das ist zu viel und mehr als zu viel!" rief die er-
blassende Burgfrau, mit einem Blicke, der interessant genug war,
38) Cramer's „Adolph Freiherr von Rubin. Ein Weibergeschichtchen."
II. Bd. S. 117.
39) „Neues Complimentirbuch." S. 86.
40) „Lauras Briefe eines Frauenzimmers in der französischen Schweiz."
S. 216.
41) Bokhornii „epistolae et poeinata.“
42) „Skizzen aus der Paulskirche. 1848." VII. Bd. S. 1—7669.
43) „Das Ganze der Homöopathie." S. 15.
44) Aoung Stilling's „Theorie der Geisterkunde." S. 40.
45) Andreä's „Bollständiges Tintenbuch" S. 25 und Rucks und
Leune's „'Naturgeschichte des Weibes." S. 74.
46) Prevöt d’Exiles „Histoire du Chevalier de Grieux et de
Manon Lescaut.“ (II. Bd. 8. 35).
47) „Les liaisons dangereuses“ par C.. . de L. . . Tom. VI. P. 312.
eine Ewigkeit hindurch von ihm zu träumen, und die Natur
pochte mit starken Fingern an ihr Herz, das kein steinernes
war48).
„Ha Fluch, millionmal Fluch Derjenigen", rief sie dann
in hoch auflodernder Leidenschaft, und hüpfte stürmisch bis hart
an die epheuumrankte Brüstung des Söllers, — „Fluch Ihr,
der abgefeimten Bübin, der listigen Armida, die ohne Rücksicht
auf Moral und Decenz das arme unschuldige Opfer in ihr
schnödes Licbes-Garn gelockt hat! O daß ich sie aufspüren, daß
ich mich in ihrem brodelnden Drachenblute baden könnte48)! —
Ha, mit meinem armen Gemahl will ich nicht rechten, denn in
solchen Momenten sind alle Männer incompetent und unver-
antwortlich — aber mit ihr, der schnöden Bösewichtin, die das
Alles gewußt hat, und doch gegen alles Christenthum und alle
Weltordnung, gegen alles Völkerrecht88) —"
„Eschauffirt Euch darüber nicht so sehr!" — fiel ihr der
Pilger mit plötzlich verwandelter84) Stimme ins Wort, —
„denn jene Person, gegen welche Euer gerechter Zorn sich auf-
bäumt88), — ist ein Engel, aber auch eine Heidin, — und —
(den falschen Bart abreißend, die Kappe mit den grauen Haaren
vom Kopfe ziehend und der Burgfrau zu Füßen sinkend) —
Ich bin Dein und ihr bis in den Tod getreuer, edler Gatte,
und Diese hier — (die beiden Verschleierten entschleiernd88) ist
Fatime, des tyrannischen Platzmajors vonJkonium älteste Tochter
Fatime Ayxa la Hora, benebst ihrer schwarzen Sklavin Siddi,
welche uns, in unverbrüchlicher Treue an ihre angestammte
Herrschaft, über Länder und Meere hieher gefolgt ist!"
„Raba, klaba, kappabla indulgenza! giaura hurisada fra-
wa84)!" flehte Fatime, zu Bertha's Füssen niedersinkend;
„Raba, klaba, kappabla indulgenza, giaura hurisada al-
teffa frawa!" wiederholte erbleichend die Schwarze.
„Gut denn!" — begann nach einer langen, langen Minute,
in welcher Liebe, Pflicht, Vernunft, Frauenwürde und Toleranz
sich im Busen herumgetummelt hatten, die edle, zu Marmor er-
starrte8') Burgfrau; — „gut denn, ich will Euch und mir selbst
beweisen, daß ich eine Vogelsteinerin bin! Kuno! mein Ge-
mahl, Gatte, Herr und einstiger Geliebter! Tu weißt, daß
einem Liebenden auch ein Strohhalm von geliebter Hand für
eine Tonne Goldes noch zu theuer ist; und obgleich ich gerne
noch länger die Ehre, das Glück und das Vergnügen genossen
hätte, Eure ungetheilte Gattin zu heißen, so muß ich doch unter
so obwaltenden prekären Umständen freiwillig darauf verzichten.
Eurem ferneren geneigten Andenken mich empfehlend, wünsche
48) „Die Mineralien und ihre Benutzung." Vorrede, S. 3.
49) „Der gehörnte Siegfried." S. 43.
50) Zaubser's„Gedankenübereinige Punkte des Kriminalrechtes." §.89.
51) Ovid's „Verwandlungen." S. 438 und Quadrupani's „Unter-
richt für ängstliche Seelen rc." S. 110.
52) M. Crügner's „Chymischer Tannenbaum." Pag. 11.
53) „Das Buch der enthüllten Geheimnisse." S. 33.
54) „O sei der Nachsicht fähig, Du hurismäßig schöne, christliche
Frau." — Aus dem Türkischen von E. Ortlepp.
55) „Kreuzhubers Leben, Kreuz- und Querzüge. 2. Bd. S. 70.
56) Zeil's „Schlachtenlexikon." Tom. III. P. 281.
57) Klipstein's „Mineralogischer Briefwechsel." S. 74.
Kuno von Rabeneck, der Verfehmte.
heftige innerliche BewegungS8). Bald sammelt er sich jedoch in
so weit, daß er Folgendes mit deutlicher aber altersschwacher
Greisenstimme zu sprechen vermag:
„Traun, Ihr werdet gütigst verzeihen, edle Dame, daß ich
mir die Freiheit nehme, Euch auf einige Augenblicke durch meine
Gegenwart zu incommodiren; aber der allgemeine Ruf von hoch-
dero Verdiensten und fürtrefflichen Eigenschaften erregte den leb-
haften Wunsch in mir, die Ehre einer persönlichen Bekannt-
schaft mit Hochderselben haben zu dürfen88). Ich komme nem-
lich von Palästina"-
Bertha. „Ha, meine Ahnung48 49 50 51 52 53 54 55 56 57)!*— (ihre Augen starren
gedankenlos umher.)
Pilgrim. „Und soll Euch von Eurem edlen aber un-
glücklichen Gemahl diesen Gruß und Handschlag nebst beifolgen-
dem Handbriefe 41) eine Kunde bringen, welche um so schmerz-
licher auf die edle Construktion Eures schönen Herzens einwirken
dürfte, da die jetzigen nahrungslosen Zeiten das Fortkommen
ohnedieß so erschweren, und der einmal sauer erworbenen Habe
einen doppelten Werth beilegen. Verzagen Sie indeß nicht an
der einstmaligen Wiedererlangung des Ihrigen, und denken Sie,
daß dort droben über den Sternen auch noch —"
Bertha (ahnungsvoll brütend). „O hinter dem Schneckcn-
gangedieser Erzählung48) muß etwas Furchtbares lauern!" (Laut
zu den Ihrigen:) „Entfernt Euch meine Lieben! (es geschieht).
Mach' es kurz, Alter, und drücke mir, — anstatt dieses tropfen-
weisen Giftes48), — lieber gleich mit Einem raschen Stoße den
Dolch in die Brust! Sprich es aus, das furchtbare Wort, das
alle Schrecknisse des Weltgerichts vor meinem Ohre zu losem
Zephyrsgesäusel herabzustimmen im Stande ist, — das Eine
Wort: Kuno von Rabeneck ist nicht mehr44)!"
Pilgrim. „Ich fühle mich glücklich, Euch gerade des
Gegentheils anniit versichern zu dürfen, daß Herr Kuno lebt,
und sich so gesund, wie jemals, befindet, aber-- die All-
macht der Convenienz, die erlaubte, ja sogar gebotene Rücksicht
der Selbsterhaltung, klimatische Einwirkungen, — veränderte
Kost, — Sklaverei, ewige Ketten, ja selbst der bleiche Tod in
müßiger gerne45),:— das Alles und noch mehr, — die festeste
Tugend glitscht auf solchem schlüpfrigen Pfade aus48) — mit
Einem Wort: Kuno von Rabeneck ist — wider sein Wissen und
Wollen — zum Zwcitenmale vermählt worden4')!"
„Ha, das ist zu viel und mehr als zu viel!" rief die er-
blassende Burgfrau, mit einem Blicke, der interessant genug war,
38) Cramer's „Adolph Freiherr von Rubin. Ein Weibergeschichtchen."
II. Bd. S. 117.
39) „Neues Complimentirbuch." S. 86.
40) „Lauras Briefe eines Frauenzimmers in der französischen Schweiz."
S. 216.
41) Bokhornii „epistolae et poeinata.“
42) „Skizzen aus der Paulskirche. 1848." VII. Bd. S. 1—7669.
43) „Das Ganze der Homöopathie." S. 15.
44) Aoung Stilling's „Theorie der Geisterkunde." S. 40.
45) Andreä's „Bollständiges Tintenbuch" S. 25 und Rucks und
Leune's „'Naturgeschichte des Weibes." S. 74.
46) Prevöt d’Exiles „Histoire du Chevalier de Grieux et de
Manon Lescaut.“ (II. Bd. 8. 35).
47) „Les liaisons dangereuses“ par C.. . de L. . . Tom. VI. P. 312.
eine Ewigkeit hindurch von ihm zu träumen, und die Natur
pochte mit starken Fingern an ihr Herz, das kein steinernes
war48).
„Ha Fluch, millionmal Fluch Derjenigen", rief sie dann
in hoch auflodernder Leidenschaft, und hüpfte stürmisch bis hart
an die epheuumrankte Brüstung des Söllers, — „Fluch Ihr,
der abgefeimten Bübin, der listigen Armida, die ohne Rücksicht
auf Moral und Decenz das arme unschuldige Opfer in ihr
schnödes Licbes-Garn gelockt hat! O daß ich sie aufspüren, daß
ich mich in ihrem brodelnden Drachenblute baden könnte48)! —
Ha, mit meinem armen Gemahl will ich nicht rechten, denn in
solchen Momenten sind alle Männer incompetent und unver-
antwortlich — aber mit ihr, der schnöden Bösewichtin, die das
Alles gewußt hat, und doch gegen alles Christenthum und alle
Weltordnung, gegen alles Völkerrecht88) —"
„Eschauffirt Euch darüber nicht so sehr!" — fiel ihr der
Pilger mit plötzlich verwandelter84) Stimme ins Wort, —
„denn jene Person, gegen welche Euer gerechter Zorn sich auf-
bäumt88), — ist ein Engel, aber auch eine Heidin, — und —
(den falschen Bart abreißend, die Kappe mit den grauen Haaren
vom Kopfe ziehend und der Burgfrau zu Füßen sinkend) —
Ich bin Dein und ihr bis in den Tod getreuer, edler Gatte,
und Diese hier — (die beiden Verschleierten entschleiernd88) ist
Fatime, des tyrannischen Platzmajors vonJkonium älteste Tochter
Fatime Ayxa la Hora, benebst ihrer schwarzen Sklavin Siddi,
welche uns, in unverbrüchlicher Treue an ihre angestammte
Herrschaft, über Länder und Meere hieher gefolgt ist!"
„Raba, klaba, kappabla indulgenza! giaura hurisada fra-
wa84)!" flehte Fatime, zu Bertha's Füssen niedersinkend;
„Raba, klaba, kappabla indulgenza, giaura hurisada al-
teffa frawa!" wiederholte erbleichend die Schwarze.
„Gut denn!" — begann nach einer langen, langen Minute,
in welcher Liebe, Pflicht, Vernunft, Frauenwürde und Toleranz
sich im Busen herumgetummelt hatten, die edle, zu Marmor er-
starrte8') Burgfrau; — „gut denn, ich will Euch und mir selbst
beweisen, daß ich eine Vogelsteinerin bin! Kuno! mein Ge-
mahl, Gatte, Herr und einstiger Geliebter! Tu weißt, daß
einem Liebenden auch ein Strohhalm von geliebter Hand für
eine Tonne Goldes noch zu theuer ist; und obgleich ich gerne
noch länger die Ehre, das Glück und das Vergnügen genossen
hätte, Eure ungetheilte Gattin zu heißen, so muß ich doch unter
so obwaltenden prekären Umständen freiwillig darauf verzichten.
Eurem ferneren geneigten Andenken mich empfehlend, wünsche
48) „Die Mineralien und ihre Benutzung." Vorrede, S. 3.
49) „Der gehörnte Siegfried." S. 43.
50) Zaubser's„Gedankenübereinige Punkte des Kriminalrechtes." §.89.
51) Ovid's „Verwandlungen." S. 438 und Quadrupani's „Unter-
richt für ängstliche Seelen rc." S. 110.
52) M. Crügner's „Chymischer Tannenbaum." Pag. 11.
53) „Das Buch der enthüllten Geheimnisse." S. 33.
54) „O sei der Nachsicht fähig, Du hurismäßig schöne, christliche
Frau." — Aus dem Türkischen von E. Ortlepp.
55) „Kreuzhubers Leben, Kreuz- und Querzüge. 2. Bd. S. 70.
56) Zeil's „Schlachtenlexikon." Tom. III. P. 281.
57) Klipstein's „Mineralogischer Briefwechsel." S. 74.