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Dilettanten.

herrlich strahlet der Morgen, was noch obendrein eine Lüge ist.
Ist ein deutscher Herbstabend ein herrlicher Morgen?"

„Aber in mir ist es Morgen/' sprach der Sänger begeistert.
„In meiner Brust ist Morgen! wenn auch in Frankfurt am
Main Herbstabend ist. Kümmert sich ein wahrer Sänger um
die rauhe Wirklichkeit? Singt er nicht vom italienischen Früh-
ling. wenn der Frankfurter Schnee füllt und der Main mit
Eis geht?"

„Aber, mein Herr", rief ich zornig. „Sie haben ja eine
tiefe Baßstimme; wie können Sie ein Lied singen, das für
einen hohen Tenor geschrieben ist?"

„Aber, mein Herr." erwiderte Jener ruhig, „besteht nicht
eben die wahre Kunst des Sängers darin, daß er die Stimme
bewältige? Ist es nicht bewundernswerth. wenn ein Tenor
die Parthie des Sarastro. des Bertram, des Caspar singt? Was
ist der Kunst, was ist dem gottgeweihten Künstler unmöglich?"

„Aber mein Herr, Siebringen mich zur Verzweiflung ?"rief ich.

„Was geht das mich an?" fragte er ruhig.

„Sie treiben mich aus dem Hause!" schrie ich.

„Sie sind der Erste nicht", erwiderte er noch ruhiger als
zuvor; „ich habe das Zimmer auf drei Jahre gemiethet."

Voll Gift und Galle verließ ich den Parforcesänger und
bezog noch an demselben Abend eine andere Wohnung.

Noch viel Schlimmeres widerfuhr mir in Stuttgart. Ich
hatte mich dort in einem stillen Stadttheile eingemiethet. um
ruhig und ungestört leben zu können; aber gleich am andern
Morgen weckten mich fürchterliche Posaunenstöße, die aus dem
benachbarten Hause in mein Ohr drangen. Bis zehn Uhr dauerte
das entsetzliche Geschmetter. Kaum aber schwieg die Posaune,
als sich die dumpfen Töne eines Fagotts aus dem benachbarten
Hause links hören ließen. Wenn die Posaune mir schon das
[ Ohr zerriß. so zerfleischte mir dieses Fagott mein innerstes
Herz. Zwei lange Stunden folterte mich dieser Fagottbläser;
da schlug es zwölf, und genau mit dem letzten Glockenschlage
verstummte das entsetzliche Instrument. Ich war erlöst. Aber
am nächsten Morgen rissen mich wieder die Posaunenstöße aus
den Armen des Schlafes und quälten mich wieder bis zehn Uhr.
Punkt zehn Uhr schwieg die Posaune und begann das Fagott,
welches Punkt zwölf verstummte. Kurz, tagtäglich denselben
schmetternden Posaunen-Morgengruß; tagtäglich dieselben herz-
zerreißenden Fagottotöne! Ich war der Raserei nahe. Ich ver-
fluchte den Erfinder der Posaune, ich verfluchte den Erfinder
des Fagotts, und ich verfluchte sümmtliche Blasinstrumente mit
fürchterlichen Flüchen. Da schien sich mein mitleidsloses Miß-
geschick endlich meiner zu erbarmen. Eines Morgens nämlich
war cs still. Ich traute kaum meinem Glücke und gab mich tau-
send Vermuthungen hin. Sollte den Posaunenschlägcr vielleicht
ein menschenfreundlicher Schlag gerührt haben ? Ist er vielleichtaus-
gezogen? Hat er vielleicht erfahren, was ich durch ihn gelitten?

Während ich mich.aber den verschiedensten Vermuthungen
hingebe, öffnet sich die Thüre. und hereintritt ein breitschulteri-

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ger, knochiger Manu mit einem unendlich breiten, von Blatter-
narben zerrissenem Gesichte, aus welchem eine breite Nase kaum
einige Linien hervorragte. Kein einziges Härchen bedeckte das
breite Haupt dieses absonderlichen Menschen. an welchem Alles
unendlich breit zu sein schien. Schweigend hatte er sich mir
genähert; schweigend setzte er sich auf's Sopha. und blickte mir
eine geraume Zeit mit seinen grauen Augen so starr und fest
in's Antlitz, daß ich mich eines unheimlichen Gefühls kaum er-
wehren konnte. Endlich begann er: „Nicht wahr. Sie haben

diese Wohnung gemiethet, weil Sie hier Ruhe und Stille für
Ihre Arbeiten zu finden hofften?"

„Allerdings!" erwiderte ich; „aber" —

„Aber Sie werden gestört", ergänzte der Breite. „Sie
werden in Ihrer Arbeit gestört durch einen nichtswürdigen Jn-
strumentenschänder. durch einen unbarmherzigen Ohrenpeiniger,
durch einen Menschen, der nicht bedenkt, daß außer ihm auch
noch Menschen leben. „Nicht wahr?"

„Ja wohl, mein Herr", antwortete ich. „Dieser Posaunen-
bläser" —

„Fagottbläser wollen Sie sagen", unterbrach mich der Breite
hastig. „Ja. dieser Fagottbläser, der mich zwingt, schon um zehn
Uhr die Posaune hinzulegen und zu feiern, während er die ganze
Nachbarschaft zur Verzweiflung bläst, dieser Fagottbläser muß

fortgebiffen werden! helfen Sie mir dazu; denn auch Ihr Jn-
i teresse fordert es. Zwingen wir ihn mit vereinten Kräften aus
dem Bereiche dieses Stadtviertels, damit ich wieder ungestört
den Uebungen auf meiner Posaune obliegen kann."

„Ich kann leider nichts thun", sagte ich dem Breiten, wäh-
rend ich emsig darauf bedacht war. seiner los zu werden. „Ich
kann ihm leider eben so wenig sein Vergnügen auf dem Fagott,
als Ihnen das Ihrige auf der Posaune verbieten."

„Ich bin Künstler", sprach Jener heftig; „ja. Künstler bin
ich. und das darf ich kühn vor aller Welt behaupten; aber er
ist ein Psuscher, ein Stümper, ein nichtsnutziger Ruhestörer,
ein" —

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Dilettanten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Musiker <Motiv>
Fagottspiel
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 26, S. 11

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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