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Eine Winterpredigt.
Gehalten von Fr. Hilarius.
Geliebte zu allen Jahreszeiten! Wer da klopfet an unsere
Thür und Einlaß begehrt, dem sei sie aufgcthan. und er finde
eine wohnliche Stelle an unserem Herde! Da wir nun ein-
mal den Winter hereingelafien haben in's Land, so wollen wir
ihm auch kein grämlich' Gesicht schneiden, sondern er sei uns
willkommen, mache si.ch's bereit und bequem, und wenn's etwa
der Schelm zu arg treibt, wollen wir uns der frommen Worte
getrösten:
Kurze Tage — lange Nächte,
Kurzes Wachen — langer Traum!
Wenn es draußen stürmt und stöbert.
Blüht der Lenz im Hcrzensraum.
Auch im Winter liegt eine Segensfülle, die uns das Ge-
leite geben wolle bei unserer erbaulichen Betrachtung! —
Ihr Freunde! so ist die Crcatur gesinnt,
Tie man sonst heißet Menschenkind.
Daß ihr aus dieser lieblichen Welt
Kaum die Hälfte taugt und wohl gefällt.
Wollt's unser Herrgott Aller thun zu Recht,
Er wäre jedes Einzelnen Knecht;
Denn hätt' er dem Einen zu Willen gelhan.
Der Nachbar würde was schelten d'ran;
Und würde er thun nach des Letzten Begehr.
Fiel' der Erste tadelnd d'rüber her.
D'rum — lasien wir ihn seine Wege wandeln.
Nach seinem ewigen Willen handeln.
Und freuen uns ob der Frühlingszeit.
Und freuen uns, wenn es stürmt und schneit.
Und freuen uns über Frucht und Blüth,
Und im Winter über'n Lenz im Gemüth.
Sobald wir unfern Herrgott schalten lah'u.
Wird Alles die rechten Geleise gah'n.
Daß gerade der Winter kein schlimmer Gesell.
Das will ich euch beweisen zur Stell;
Denn ich Hab' beim Thorschreiber von ungefähr
Seinen Paß gelesen und sein Verhör.
Und beides wörtlich abcopirt;
Könnt's hören, wenn es euch intercssirt:
..„Alter?""
„So etwa fünftausend und einige Jahr.
„Ich weiß es selbst nicht auf ein Haar!
„Doch glaubt die löbliche Thorschreiberei.
„Daß ich lahm und krumm vor Alter sei.
„So irrt sie sich, mit Respekt gemeld't.
„Denn noch allweil' bin ich ein wackerer Held.
„Der mit frankem Sinn' und mit frischem Blut
„Alljährlich seine Weltreise vollenden thut!"
„„Metier?""
„Das will ich euch wohl künden fein:
„Weberei ist das Handwerk mein.
„Erst zupf' ich die Wolle, schneeblüthenweiß,
„Dann breit' ich sie aus mit allem Fleiß.
„Der Frost ist mein Weberschifflein gut;
„Wie das hin- und wieder fliegen thut!
„Wie das Tag und Nacht ohne Ruh und Rast
„Die Wolle zusammenfügt und paßt.
„Bis weit und breit eine Decke fein
„Ueber Berg nnd Thal wird gesponnen sein.
„Bei Tag web' ich noch mit künstlicher Hand
„Von Sonnenglast einen goldgelben Rand;
„Bei Nacht da stick' ich noch hinein
„Ein bischen Flimmer und Sternenschein. —
„Da ich von Wucher kein Wörtlein weiß,
„Geb' ich meine Waare um leichten Preis.
„Obgleich ich selbst uni theures Geld
„Guten Absatz fände auf der Welt!"
„„Charakter?""
„Mein lieber Herr Thorschreiber! Ihr wißt.
„Wie Alles auf der Welt verschrieen ist.
„Macht Einer noch so gut sein' Sach.
„Man sagt ihm das Allerschlimmste nach.
„Schreibet nur keck in's Protokoll:
„„Offen und ehrlich, just, wie's sein soll!.""
„Doch, wer offen und g'radaus. heißt nur ein Flegel.
„Und mit mir macht man keine Ausnahm' von der Regel.
„Ich läugne nicht, daß ich dort und hier
„Mich ein bislein stürmisch und wild gern;
Eine Winterpredigt.
Gehalten von Fr. Hilarius.
Geliebte zu allen Jahreszeiten! Wer da klopfet an unsere
Thür und Einlaß begehrt, dem sei sie aufgcthan. und er finde
eine wohnliche Stelle an unserem Herde! Da wir nun ein-
mal den Winter hereingelafien haben in's Land, so wollen wir
ihm auch kein grämlich' Gesicht schneiden, sondern er sei uns
willkommen, mache si.ch's bereit und bequem, und wenn's etwa
der Schelm zu arg treibt, wollen wir uns der frommen Worte
getrösten:
Kurze Tage — lange Nächte,
Kurzes Wachen — langer Traum!
Wenn es draußen stürmt und stöbert.
Blüht der Lenz im Hcrzensraum.
Auch im Winter liegt eine Segensfülle, die uns das Ge-
leite geben wolle bei unserer erbaulichen Betrachtung! —
Ihr Freunde! so ist die Crcatur gesinnt,
Tie man sonst heißet Menschenkind.
Daß ihr aus dieser lieblichen Welt
Kaum die Hälfte taugt und wohl gefällt.
Wollt's unser Herrgott Aller thun zu Recht,
Er wäre jedes Einzelnen Knecht;
Denn hätt' er dem Einen zu Willen gelhan.
Der Nachbar würde was schelten d'ran;
Und würde er thun nach des Letzten Begehr.
Fiel' der Erste tadelnd d'rüber her.
D'rum — lasien wir ihn seine Wege wandeln.
Nach seinem ewigen Willen handeln.
Und freuen uns ob der Frühlingszeit.
Und freuen uns, wenn es stürmt und schneit.
Und freuen uns über Frucht und Blüth,
Und im Winter über'n Lenz im Gemüth.
Sobald wir unfern Herrgott schalten lah'u.
Wird Alles die rechten Geleise gah'n.
Daß gerade der Winter kein schlimmer Gesell.
Das will ich euch beweisen zur Stell;
Denn ich Hab' beim Thorschreiber von ungefähr
Seinen Paß gelesen und sein Verhör.
Und beides wörtlich abcopirt;
Könnt's hören, wenn es euch intercssirt:
..„Alter?""
„So etwa fünftausend und einige Jahr.
„Ich weiß es selbst nicht auf ein Haar!
„Doch glaubt die löbliche Thorschreiberei.
„Daß ich lahm und krumm vor Alter sei.
„So irrt sie sich, mit Respekt gemeld't.
„Denn noch allweil' bin ich ein wackerer Held.
„Der mit frankem Sinn' und mit frischem Blut
„Alljährlich seine Weltreise vollenden thut!"
„„Metier?""
„Das will ich euch wohl künden fein:
„Weberei ist das Handwerk mein.
„Erst zupf' ich die Wolle, schneeblüthenweiß,
„Dann breit' ich sie aus mit allem Fleiß.
„Der Frost ist mein Weberschifflein gut;
„Wie das hin- und wieder fliegen thut!
„Wie das Tag und Nacht ohne Ruh und Rast
„Die Wolle zusammenfügt und paßt.
„Bis weit und breit eine Decke fein
„Ueber Berg nnd Thal wird gesponnen sein.
„Bei Tag web' ich noch mit künstlicher Hand
„Von Sonnenglast einen goldgelben Rand;
„Bei Nacht da stick' ich noch hinein
„Ein bischen Flimmer und Sternenschein. —
„Da ich von Wucher kein Wörtlein weiß,
„Geb' ich meine Waare um leichten Preis.
„Obgleich ich selbst uni theures Geld
„Guten Absatz fände auf der Welt!"
„„Charakter?""
„Mein lieber Herr Thorschreiber! Ihr wißt.
„Wie Alles auf der Welt verschrieen ist.
„Macht Einer noch so gut sein' Sach.
„Man sagt ihm das Allerschlimmste nach.
„Schreibet nur keck in's Protokoll:
„„Offen und ehrlich, just, wie's sein soll!.""
„Doch, wer offen und g'radaus. heißt nur ein Flegel.
„Und mit mir macht man keine Ausnahm' von der Regel.
„Ich läugne nicht, daß ich dort und hier
„Mich ein bislein stürmisch und wild gern;
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine Winterpredigt."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 34, S. 76
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg