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Aus den Papieren
ich diese vergessen muß? Ist mir das Butterbrot» je anders als
auf die fette Seite gefallen? Was habe ich noch je begonnen,
das nicht ein tragikomisches Ende genommen hätte. Wie wurde
ich, zum Exempel, Jäger, und wie hörte ich auf, es zu sein?
Eines Tages kommt ein Freund zu mir und ladet mich auf
den andern Morgen zur Hasenjagd ein. „Du weißt, ich verstehe
nichts voin edeln Waidwerk," sagte ich. „Du sollst es verstehen
‘ lernen," entgegnete mein Freund. „Außerdem," setzte er hinzu,
„ist ja nichts leichter, als einen Hasen zu schießen. Es sind dabei
nur zwei Fälle möglich. Entweder du triffst den Hasen, oder du
triffst ihn nicht." Die Sache war mir einleuchtend. Am andern
Tage steh' ich, ein angehender Nimrod, auf dem Feld. Lange wollte
sich mir kein Hase zeigen. Endlich glaub' ich etwas Hasenartiges
zu entdecken. Ich lege an, drücke los und — ein fürchterliches
Geheul erfüllt die Luft. Statt den Hasen zu treffen, hatte ich
durch einen unbegreiflichen Zufall einen im Chauffeegraben lie-
genden Handwerksburschen in das Hintertheil geschossen. Der
arme Teufel war seiner Profeffion nach ein Frauenschneider,
und so mager, daß mein unglückseliger Schrot von der Haut bis
zu den Knochen gar keinen Weg zurückzulegen hatte. Dieser
Schneider war mein erstes und letztes Wildpret, das ich erlegte.
Vor zwei Jahren werde ich von einem angesehenen Banquier
zu einem th6 dansant eingeladen. Der Banquier hat eine einzige
Tochter; die einzige Tochter ist eine Blume, eine Venus, eine
Perle, ein Diamant. Man darf eine solche Gelegenheit natürlich
nicht versäumen. Ich untersuche also die geheimsten Gedanken mei-
; nes Kleiderschrankes, finde in demselben noch eine brauchbare Idee
' zu einer Ballweste, laffe einige Altersschwächen meines schwarzen
Fracks durch einen bewährten Kleiderarzt wieder Herstellen, suche
unter dem frisch gefallenen Schnee meiner Wäsche das am frische-
sten gefallene Hemde hervor, bringe durch eine nicht genug anzuer-
kennende Geschicklichkeit eine transparente Cravatte wieder zur Ver-
nunft, bürste meinen chapeau claque, der in den Tagen seiner rosi-
] gen Jugend einmal ein wohlconditionirter runder Hut gewesen,
und, als er von den Schlügen unv Stößen, von den Stürmen
und Ungewittern des Lebens mit zerstörter Gesundheit sich zurück-
gezogen, zum Ballhut bestimmt worden. Nun eile ich zum Fri-
seur und laffe mein germanisches Haar in französische Locken kräu-
seln. „Soll ich Sie auch parfümiren?" fragte mich der Friseur.
„Ja. mein Freund," sage ich; „sparen Sie durchaus keineDüftc!"
„Wünschen Sie Rosenöl-, Nelkenöl-, Jasmin-, Bärenfett-
pomade, oder Creme de" —
„Bitte," unterbrach ich den Friseur, „bitte, nehmen Sie
von jedem etwas. Nehmen Sie alle Wohlgerüche Arabiens und
machen Sie mich zum Meisterstück Ihrer Schöpfung."
eines Pechvogels.
Als ich, aus den Händen des Friseurs hervorgegangen, mich
im Spiegel betrachtete, hätte ich mich vor Freude über meine un-
widerstehliche Anmuth küssen mögen. Ich sah aus wie ein hoff-
j nungsvoller Genius. Ich eilte aus demHaarschneide-Kabinet, und
suchte, um nicht bei Bekannten Aufsehen zu erregen, durch die ab-
gelegensten Straßen in meine Wohnung zu gelangen. Ein durch-
dringender Duft. der die Aufmerksamkeit aller Nasen auf sich zog.
verrieth die Bahnen, die ich durchwandelte. Zu Hause angelangt,
unterwarf ich mich den strengen Befehlen meines eigenen Ge-
schmacks. half einigen verfehlten Richtungen in der kunstreichen
Knotenverschlingung meiner Cravatte ab, brachte mehr natürliche
Einfalt in die Biegung meiner unschuldsreinen Vatermörder,
suchte durch Geduld und Beharrlichkeit meinen linken Hosenträger,
dessen Gumminatur keine Charakterfestigkeit zuließ, an ein Festhalten
der bestehenden Ordnung zu gewönnen, versöhnte ein sentimen-
tales kopfhängerisches Westenknöpfchen mit dem durch Zeit und
Anstrengung etwas erschlafften und mürrisch gewordenen Knopf-
loch. und — jetzt war ich so schön und frisch, als käme ich eben
aus der Werkstätte der Natur. Im Weggehn fällt mir ein, daß
ich — o schauderhaftes Geschick! — die Handschuhe, vergessen
habe. Schnell kehr' ich wieder um. wasche meine Hände in
Unschuld und verhülle ihre keusche Blöße durch gelbes Glace.
Langsam und bedächtig ging ich nun aus dem Hause.
„Ich kenne dich. Fritz." sagte ich zu mir selbst. „Du läßt
j dich bei dergleichen Gelegenheiten gewöhnlich von den vorbeifah-
renden Wagen' bespritzen, oder trittst mit den auf's glänzendste
j gewichsten Stiefeln gern in unsaubere Tiefen und zerstörst also
durch einen einzigen Fehltritt das schöne Werk eines ganzen
Tages. Heute darf dies durchaus nicht stattfinden!"
Ich hielt mich ganz in der Nähe der Häuser, untersuchte mit
der ganzen Schärfe meines Auges immer erst das Terrain, bevor
ich mich in meinen glänzenden Verhältniffen darauf wagte, und so er-
reichte ich nach einem fleckenlosen Wandel das HauS des Banquiers.
Immer nur mit mir beschäftigt, hatte ich weder Auge noch
Ohr für die Außenwelt. Im Corridor stoß' ich auf einen Be-
dienten. der niir den Einlaß verweigert. Ich nenne mich. „Ah,
Sie sind der Doctor!" antwortete der Domestik, indem er mich
mit seltsamer Geberde von oben dis unten betrachtete; „nun.
wenn Sie der Doctor sind, treten Sie nur gefälligst hier ein."
Ich nehme meinen Chapeau unter den Arm, bringe mich noch
einmal und zum letztcnmale in Ordnung, öffne die Thüre und
— fahre schaudernd zurück, als ich den Banquier unter matter
Lampenbeleuchtung in einer Nische sitzen sah. Ach und wie saß
er da! Er hatte, um seinen revolutionären Magen wieder mit
seiner Constitution auszusöhnen, an demselben Morgen Bitter-
salz gefrühstückt. und saß nun da, sich geduldig den wohlthäti-
gen Folgen des Heilmittels hingebend. Ich stand wie versteinert,
als ich den Bauquier in diesem Zustande vor mir sah. Ich
im Ballanzug, er im tiefsten Negligee; ich im Wohlgeruch
stehend, e r im Gegentheil sitzend.
„ Was führt Sie zu mir, Herr Doctor?" fragte mich der Banquier.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Aus den Papieren eines Pechvogels."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 35, S. 82
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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