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Mutter

zu tragen oder sonst etwas einzukaufen hat, und über die Taxe
mit einem Groschen belohnt wird.

Auf solche Weise verdiente sich die Maurerliese ihren Unter-
halt, und schätzte sich glücklich, daß ihre Ehrlichkeit und ihr
Eifer die Bauern wie die Stadtleute bewogen, am liebsten mit
! ihr zu schaffen. Wenn sie auch vier-, fünfmal in der Woche
; nach der Stabt ging, blieben ihr noch immer zwei freie Tage,
j an denen sie ihrer Kinder ausschließlich warten konnte, und
ging's ihr nur etwas rasch mit dem Absatz der Waare und war
der Weg nicht gar zu schlecht, so war sie des Nachmittags um zwei
Uhr schon immer daheim, und hatte noch Zeit, in Hans und Feld
nach dem rechten zu sehen. Während sie unterwegs war, mußte der
Ander! sein kleines Schwesterlein Pflegen, wie man sagt: ihm „an-
thun," — hie und da sah wohl auch die Nachbarin zum Fenster
herein, wie die Kinder zusammen schafften. Schrie das Kind,
so zog der Bube an der Wiege, daß sie flog, darüber schlief es
schon wieder ein, und wenn die Mutter kam, wurde es derb ge-
füttert für den ganzen Tag.

Mit dieser Art wurde das Kind ein munteres Mägdlein
und das Bübl ein starker Bube; er konnte nun hüten gehen
auf den Berg, wie es der selige Vater prophezeit hatte. Er
ward Geiser, — aber er blieb's nicht lange. Ein wilder Ziegen-
bock wollte über eine Wand abstürzcn. Ander! versuchte es, ihn
zu halten; doch das stärkere Thier riß den armen Hirten mit
hinunter in den Abgrund. — Der Bock blieb unverletzt, — der
Bube hatte sich — „zu Tode geschiepen." *)

Tag und Nächte klagte die arme Liese um den Ander! und
wollte sich nicht trösten. Die Herren**) sagten ihr, sie solle
ihr Kind Gott aufopfern, der wohl wissen würde, warum er es
j ihr genommen, das Weib aber meinte, sie hätten leicht reden,
weil sie nie Kinder gehabt und gebracht hätten, — und den
Ander! habe sie halt so lieb gehabt.

Nun war das Annele ihr Ein und Alles, und das hütete
sie bester, als ihren Augapfel. Zur Sommerszeit, wenn sie
nicht Boten lief, ging sie häufig in den Wald, Beeren und
Schwämme zu sammeln, um sie für eigene Rechnung in der
Stadt zu verwerthen. Auf diesen Gängen setzte sie ihr bald
vierjähriges Mädchen in den Rückkorb, trug es gen Berge, und
wenn das Annele von dem Hin- und Wiederlaufen im Walde
müde ward, legte sie es in's Moos, und ließ es schlafen oder
spielen, während sie in der Nähe nach den Beeren suchte.

So hatte sie tvieder einmal ihr Kind bei einem Gange
nach Erdbeeren in's schönste Waldgras unter schatttge Bäume
gesetzt, wo es mit den Reinnelken und anderen Blumen recht
emsig spielte, — sie selber ging seitab ihrem Geschäfte nach.

Plötzlich hörte sie das Kind weinen. Sie rief ihm zu;
„Sei stille, Annele, und schimpf***) mit den schönen Blüm-
j lein," aber da es nicht schwieg und laut nach der Mutter be-
gehrte, kehrte diese zu ihm zurück.

*) schiepen, fallen — stürzen.

**) die Geistlichen.

***) schimpfen — in Etschländer Mundart, wie im Mittelhoch-
deutschen, spielen, kurzweilen, scherzen.

und Kind. 88

l

Das Annele lag im Grase und war todtenbleich, rief auch
immer: „Weh' — Mutter — Weh!" und hielt die Hände fest
auf dem Leibe.

Liese konnte sich nicht erklären, was dem Kinde fehle, — !
da bemerkte sie, daß jenes in einem Händchen ein ihr unbekann-
tes Kraut fest hielt.

„Hast du von dem Kräutl gegessen?" fragte sie, von einer
schrecklichen Ahnung erfaßt.

Das Kind nickte mit dem Kopfe.

Nun — dachte sie — ist es vergiftet — und stirbt.

Ihr einziges, ihr letztes, ihr liebstes Kind! — War aber
das Kraut wirklich eine Giftpflanze? Wer konnte ihr Gewiß-
heit geben, wer ihr die namenlose Angst vom Herzen nehmen; ;
— schnell, sogleich, jetzt, ehe sie die Verzweiflung um den Ver-
stand brachte? —

Hastig entriß sie dem Kinde den Rest des Krautes — und
aß es selbst. — Dann lag sie lange Zeit völlig bewußtlos und
dennoch, wie sie selber sagte, immer betend, das Mädchen an
sich drückend, auf den Knieen.

Endlich hörte dieses zu weinen auf, — es entschlief am
Herzen der Mutter. Von Viertelstunde zu Viertelstunde erwar-
tete diese die Wirkungen des Giftes. — Sie gingen vorüber —
und mit ihnen ihre Todesangst. Ihre Furcht war ungegrün-
det, das Kind mochte sich im Grase etwas erkältet haben, und
daher seine Schmerzen gekommen sein. —

Liese erzählte den Vorfall den Herren. - „Wenn's nun
doch ein Gift gewesen, meinte Einer, da hättet Ihr so gut ver-
loren sein können, wie das Kind?"

„In Gottesnamen" — meinte das Weib — „wär' all'm
bester gewesen, wir zwei zusammen, als Ein's allein."

I. F. Lentner.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Mutter und Kind"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schmolze, Carl Hermann
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Kind <Motiv>
Mutter <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 3.1846, Nr.57, S. 69
 
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