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Die silbernen Beine.

LS?

ging aber doch, in einiger Entfernung, rasch am
Freunde vorüber, ohne nur einen Augenblick seinen
Taktmarsch zu unterbrechen. Erstaunt sah ihm Filips
nach — van Wadenblock aber bemerkte mit Schrecken,
daß er nicht im Stande sey, den Gang der künstli-
chen Beine zu lenken oder einzuhalten. Eins, zwei

— links, rechts — eins, zwei — links, rechts —
eins, zwei — links, rechts — eins, zwei — links,
rechts — führten sie ihn fort. Unaussprechliche
Angst ergriff den reichen Mann, als er sich so in
die Gewalt einer mechanischen Kraft gegeben sah;

— voll Graus blickte er auf die eifrigen Beine, die
er, ohne Hülfe eines Andern, auch nicht einmal los-
zuschnallen vermochte. Er suchte sich an den Gittern
eines Brunnens festzuhalten, um Leute herbeizurufen,
aber die Gewalt der vorwärts eilenden Maschine war
so mächtig, daß Wadenblock, aus Furcht, auch die
Arme ausgeriffen zu bekommen, das Gitterwerk los-
laffen und seinen Geschwindschritt fortsetzen mußte.

An dem Leyden'schen Kanäle angekommen, er-
blickte er das Haus des Mechanikers, und schrie schon
von Weitem: „Hülfe, Hülfe, Hülfe!"

Turningvoort kam an's Fenster.

„Schurke!" rief van Wadenblock, der eben unter
dem Fenster vorbeimarschirte, „komm' geschwind her-
„ unter und halte mich auf! Wenn Du einen Augen-
„blick säumst, so bin ich schon so-weit, daß Du mich
„nicht mehr einholen wirst und Deine satanischen
„Beine führen mich der Himmel weiß wohin!*

Blaß und außer fich vor Entsetzen lief der
Künstler aus dem Hause, dem schon weitentfernten
Wadenblock nachsetzend. Turningvoort war alt und
kaum im Stande den 'reichen Gönner einzuholen.
Doch gelang ihm dies endlich durch die äußerste
Kraftanstrengung. Er klammerte fich an Wadenblock
fest, drückte an zwei vcrborg'nen Federn und — sort-
schossen die Beine, den unglücklichen Wadenblock mit
zehnfach vermehrter Geschwindigkeit dahinführend.
Wie ein Blitz flog er an dem Kanäle hin, acht
Fischweiber, zwei dicke Engländer, einen Milch-Esel,
eine Heerde Hämmel, die ihm nach einander in den
Weg kamen, mit der mechanischen Bierpferdekrast
seiner Beine niederrennend. Turningvoort lag jam-
- mernd auf der Erde und sah ihm nach, dem reich-
sten Manne Rotterdam's, der, sonst so ruhig und
ehrbar, jetzt wie ein losgeriffener Stier dahin tobte,
und im holländischen Nebel verschwand. Aber aus
der Ferne tönte noch sein Ruf: „Turningvoort, du
bist mein Mörder!"

Fünf Meilen von Rotterdam liegt Leyden. —
In der Hauptstraße dieser Stadt saßen hinter den
blanken Fenstern ihres Frühstücksaales die Jungfrauen
Backschneider und Tegenstand und ttanken Thee. Da
bemerkten fle einen Mann, der, wie rasend, mitten
durch die Sttaße lief. Sein Gesicht war todten-
blaß, er öffnete und schloß den Mund mit convulst-
vischen Anstrengungen und rannte wider einen La-
ternenpfahl, der krachend umstürzte. Ein Schnarren
wie von Ziehbrunnenketten tönte herauf, der blaffe
Mann drehte fich, und rannte, hastig wie er gekom-
men war, wieder zurück.

Guter Gott!" riefen die Jungfrauen, „war das nicht Mynheer van
„Wadenblock aus Rotterdam?"

Der folgende Tag war ein Sonntag und die Bewohner Haarlem's
gingen nach der Kirche, als eine zusammengesunkene, menschliche Figur,
eine Leiche, mit einem Gesicht, das in alle Farben spielte, blitzschnell
quer über den Markt lief. Die Menge wich, stumm vor Schreck, zu bei-
den Seiten zurück, und war entsetzt, daß die Todten am hellen Tag die
Gräber verließen und unter den Lebenden herumirrten.

Der Leichnam des reichen Rolterdamer'S wurde durch die unwider-
stehliche Gewalt der mechanischen Beine durch alle holländischen Städte
geschleppt. Stieß die fortbewegende Kraft auf ein Hinderniß, so drehte
sich die Maschine und lief zurück bis wieder eine Mauer, ein Haus oder
ein mächtiger Baum in dem Wege lag und ein abermaliges Umkehren
bewirkte. Die Kleider, welche Herr van Wadenblock im Leben getragen,
sielen in Lumpen ab, sei» Körper löst» sich auf; nach einigen Jahren er-
schien dann und wann im nördlichen Europa sein Scelett; — die silber-
nen Beine hörten nicht auf zu laufen. Die letzten Knochen brachen und
gingen verloren — die durch Eisenstangen verbundenen Beine aber laufen
noch heute in Holland herum.

Turningvoort hatte das Geheimniß deS Perpetuum mobile entdeckt
und die Räder feines wunderbaren Werke? werden nie stille stehen.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die silbernen Beine.*)"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Skelett
Mechanik <Motiv>
Hüftgelenk
Straße <Motiv>
Karikatur
Bein <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 3.1846, Nr. 64, S. 127
 
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