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Das Opfer.

Neucstens jedoch ist ein Ercigniß cingetreten, das unsere schöne
Geselligkeit zu stören droht, und, wenn wir nicht schnell hei-
lend eingrcifcn, ganz und gar zerstören wird. Ein Fremder
hat sich unbefugter Weise in unfern Kreis cingcdrängt, hat
unsere althergebrachte Ordnung verwirrt und mehrfach Gefühle
des Unwillens im uns erweckt. Aber auf der andern Seite
hat er auch wieder durch sein gediegenes, edles Wesen unser
Herz gewonnen, und wir könncn's nicht verwinden, daß wir
ihm nach allen den traulichen Stunden, die wir mit ihm ver-
lebt, so hart und rauh die Lhüre gewiesen haben. Wohl
greift die Jugend da und dort störend und verwirrend ein in
Leben und Gewohnheiten der Alten, aber man muß sie ge-
währen lassen, muß ihr sogar Platz machen, denn ihr gehört
die Zukunft, und wer selbst im Geiste jung bleiben möchte
bis in's Alter, der darf die Berührung mit ihr, auch wo sie
sticht und verletzt, nicht scheuen. Also kurz und gut, wir müs-
sen unfern Maler wieder haben, und dazu muß uns unser
lieber Freund hier, der Justizrath, Helsen, er muß der Ge-
sellschaft ein Opfer bringen, ein großes Opfer, er muß, ich
sage es offen, er muß wie Jcphtha seine Tochter opfern!"

Der Justizrath fuhr von seinem Sitze aus. „Da soll
mich doch eher," rief er, „bis daß ich solches thue," —

„Halt, halt!" riefen die Freunde, „kein vorschnelles
Wort! Die Sache läßt sich ja weiter besprechen."

Das geschah denn auch, und Alles machte sich viel jchnel-
ler, als man sich je hätte träumen lassen. Dem Justizrath
ging seine Abendgesellschaft über Alles, er konnte sich ein ge-
nießlich Leben gar nicht ohne dieselbe denken, und so waren
ihm die letzten Tage der Mißstimmung ganz uncriräglich ge-
wesen. Auch war seine Hitze verraucht, und der Brief schien
ihm selbst wenig gerechtfertigt zu sein. Er legte großen Werth
auf den Namen eines gebildeten Mannes, und dieses Mal
hatte er dem feingcbildetcn jungen Manne gegenüber sich wirk-
lich eine starke Blöße gegeben. Auch hatten die eingegange-
nen Nachrichten in demselben bereits einen namhaften Künst-
ler erkennen lassen. Dieses Alles wirkte zusammen, ihn so
umzustimmen, daß er — cs war bereits tief in der Nacht —
«nt feierlicher Stimme die Erklärung abgab, er sei, wenn
auch mit schwerem Herzen, zu dem Opfer bereit, hoffe aber,
die Gesellschaft werde die Größe des Opfers, das er ihr bringe,
indem er nicht bloß auf seine durchaus wohlbegründete Ent-
^""g verzichte, sondern den Gegenstand seines Zornes ganz
gar zu Gnaden annchmc, gebührend zu schätzen wissen.

Als ihm aber

auf diese Erklärung hin Alle voll Rührung die

mutl^ crMr***1 Un^ ^ *n Lobeserhebungen über seine Groß-
(t, cn' 1° konnte er sich eines gewissen beschämenden

Gefühls nicht erwehren, indem er sich bewußt war, wie sehr

Cfwfne "Dresse, den Abendgcnuß sich unverkürzt wieder

hi1?"'/ fn/ ” ^CV Zeugung dieser bochbcrzigen Opserfreu-
d-gkcit mitgcwirkt hatte. ' v 5 9 n 1

Der Phyjikus wurde nun beauftragt, die glückliche Wen-
IZ\hX l™9' bC,n wenn er zurückkehre, in der ge-

y Cn C^C iu ^ssm zu thun, doch müsse derselbe zwei
e lngungcn erfüllen: erstens müsse er den Justizrath wegen

seiner unerlaubten Annäherung, und zweitens die Gesellschaft
wegen des mit ihr getriebenen Scherzes um Verzeihung bitten.

Als nach einigen Tagen der Maler ankam, wurde ihm
bald darauf der Besuch des Physikus angemeldet. Der Maler
cmpfieng ihn höflich, aber sehr ernst und mit weniger Fassung
und Geschick, als er sonst in ähnlichen Fällen zu entwickeln
pflegte, entledigte sich der Physikus seines Auftrages, wie die
Gesellschaft sich freuen werde, den Maler wieder zu sehen,
wie der Justizrath in der ersten Hitze gehandelt habe, wie er
schließlich überzeugt sei, der Herr Maler werde zur gänzlichen
Wiederherstellung des Friedens gerne die zwei ihm auferlcgten
leichten Bedingungen erfüllen. Zugleich deutete er an, daß
der Justizrath von einem Manne, der ihm als anerkanntes
Mitglied der Abendgesellschaft von jetzt an so nahe stehe, auch
eine weitere Annäherung nicht übel ausnchmen könne und
werde. Der Maler hatte, während der Physikus sprach, keine
Miene verzogen. Jetzt aber crwicdertc er fest und bestimmt:

„Mit nichten werde ich solches thun, wie cs mir auch
gar nicht geziemen würde. Was habe ich denn Ihnen und
dem Herrn Juftizrath Böses zugcfügt, womit habe ich Sie
beleidigt, daß ich mich jetzt erniedrigen soll? Nur tadclns-
wcrther Standcshochmuth konnte meine ernst und aufrichtig
gemeinte Bewerbung von Anfang an mit solcher Verachtung
zurückstoßen. Daß ich hierher kam, das ist meine Sache; ich
habe mich dem Fräulein mit keinem Schritte genähert, kann
leben, wo ich will, und auf meinem Zimmer aus der Erinne-
rung malen, was ich will. Ich habe also dem Herrn Justiz-
rath nichts abzubitten. Und was habe ich denn Ihnen ge-
than? Ich habe mich, in Ihre Mitte begeben nach dem Rechte,
das der öffentliche Ort mir gab, habe mich hingesetzt, wo
mir's gerade gefiel, und Niemand hat mich von dem einge-
nommenen Platze fortgehcn heißen. Ich bin Ihnen Allen mit
dem gebührenden Respekt begegnet, habe mein Theil zu der
Unterhaltung beigctragen, und glgube damit Alles, was mir
oblag, erfüllt zu haben. Ich habe somit auch Ihnen gegen-
über nichts abzubittcn, und gedenke cs selbst um den höchsten
Preis des Lebens nicht zu thun."

„Und Sic sollcn's auch nicht thun, lieber junger Freund!"
siel der gerührte Physikus ein, „aber bei uns bleiben sollen
Sie und uns unsere Abende wieder froh und genießlich ma-
chen und uns alte Gesellen mit Ihrem Jugendmuthe ailstecken!
Und darauf schlagen Sie ein!"

Das geschah denn auch mit voller Kraft.

Und am Abend, als die Herren sich wieder versammel-
ten, eben so pünktlich, wie an jenem bösen Tage, da saß auch
der Maler schon wieder da, aber dieses Mal aus Nr. 9 an
der Ecke, und bot dem Justizrath so unbefangen und herzlich
die Hand, daß dieser, die alte Sitzordnung selbst durchbrechend,
sich neben ihm niedcrlicß und diesen Abend später immer
einen der gcnuß- und folgenreichsten Abende seines Lebens zu
nennen pflegte. Der gestellten zwei Bedingungen wurde mit
keinem Worte gedacht; wie durch ein geheimes Einvcrständniß
der Geister schienen Alle den Verzicht des Physikus adoptirt
zu haben.

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